Mikrobiologie

Lebendes Fossil torpediert Theorien

Bakterium hat sein Genom seit gut 150 Millionen Jahren nicht verändert

Bohrung
Bohrung im Death Valley. Eine hier tief im Untergrund lebende Bakterienart ist genetisch fast identisch mit zwei in Südafrika und Sibirien gefundenen Populationen der Tiefen Biosphäre. Das gibt Forschenden Rätsel auf. © Duane Moser/ Desert Research Institute.

Evolutionärer Stillstand: Ausgerechnet unter den normalerweise schnell mutierenden Bakterien haben Forscher ein lebendes Fossil entdeckt – eine Art, die sich seit gut 150 Millionen Jahren nicht verändert hat. Seit dem Zeitalter des Urkontinents Pangäa hat das kilometertief im Gestein lebende Bakterium Candidatus Desulforudis audaxviator sein Genom nicht weiterentwickelt. Eine solche Stabilität widerspricht allen gängigen Annahmen zur Mikroben-Evolution.

Bakterien gehören zu den anpassungsfähigsten Organismen unseres Planeten. Dank ihrer hohen Mutationsrate und kurzen Generationszeit können sie in wenigen Monaten neue Varianten entwickeln, die beispielsweise neue Nahrung erschließen oder Resistenzen gegen Antibiotika ausbilden. Hinzu kommt die Fähigkeit der meisten Bakterien zum horizontalen Gentransfer: Sie können Gene und Genstücke auch mit andern Mikrobenarten in ihrer Umgebung austauschen.

Krustenbewohner auf drei Kontinenten

Doch es geht auch anders, wie nun Forschende um Eric Becraft vom Bigelow Laboratory for Ocean Sciences in Maine entdeckt haben. Für ihre Studie waren sie der genetischen Entwicklung einer Bakterienart nachgegangen, die 2008 in 2,8 Kilometer Tiefe in Gesteinsporen einer südafrikanischen Goldmine entdeckt worden war. Die Candidatus Desulforudis audaxviator (CDA) getaufte Mikrobe gewinnt ihre Energie und Nährstoffe aus Wasserstoff, Sulfat und weiteren Chemikalien, die durch radioaktiven Zerfall im Gestein freiwerden.

Fundorte
Fundorte der verglichenen Populationen von Candidatus Desulforudis audaxviator. Sie wurden dort in Tiefen zwischen 750 und 3.400 Metern entdeckt.© HG-Karte: Getty images

Das Interessante jedoch: Das Bakterium kommt nicht nur in dieser Goldmine vor, sondern wurde seither auch in der tiefen Biosphäre anderer Kontinente entdeckt: In Nordamerika leben diese Mikroben in einem Grundwasserstrom unter dem Death Valley und auch in Sibirien wurden diese Bakterien bei Tiefbohrungen im Porenwasser von kreidezeitlichen Gesteinen nachgewiesen. Das weckte die Frage, inwieweit sich die verschiedenen Populationen dieser Bakterienart an ihre Standorte und die dort sehr unterschiedlichen Umweltbedingungen angepasst haben.

„Angesichts der großen geografischen Distanzen zwischen diesen unterirdischen Vorkommen haben wir angenommen, dass sich das Erbgut dieser CDA-Varianten genetisch deutlich unterscheiden müsste“, erklären Becraft und sein Team. Das haben sie nun mittels DNA-Sequenzierung von 126 CDA-Proben aus allen drei Kontinenten überprüft.

Identisch selbst in schnell veränderlichen Genomteilen

Das überraschende Ergebnis: Das Erbgut der Proben war nahezu identisch. Obwohl die Bakterien durch tausende Kilometer und Meere getrennt leben und keinerlei Möglichkeiten des Austauschs untereinander haben, sind ihre DNA-Abfolgen verblüffend ähnlich. Die Nukleotid-Übereinstimmung lag bei mehr als 99,5 Prozent. „Das war geradezu schockierend“, sagt Becrafts Kollege Ramunas Stepanauskas.

Verblüffend auch: Die drei Bakterienpopulationen stimmten selbst in Genbereichen überein, die als besonders schnell veränderlich gelten. Dazu gehören unter anderem die von früheren Virenangriffen in der Bakterien-DNA zurückgebliebenen Reste viralen Erbguts, die sogenannten Prophagen, aber auch Gene für den Enzymkomplex CRISPR, der der Abwehr von Viren dient. „Das war besonders überraschend, weil CRISPR als sich besonders stark entwickelnde Genregionen gelten“, so die Forschenden.

Lebendes Fossil aus der Zeit von Pangäa

Wie aber ist dies möglich? Nach Ansicht der Wissenschaftler lässt dies nur einen Schluss zu: Diese Bakterien sind lebende Fossilien, die seit Jahrmillionen in einem evolutionären Stillstand leben. „Unsere momentan beste Erklärung ist, dass sich diese Mikroben kaum verändert haben, seit ihre Lebensräume beim Zerbrechen des Superkontinents Pangäa vor 175 Millionen Jahren voneinander getrennt wurden“, sagt Stepanauskas.

Das aber bedeutet, dass sich Candidatus Desulforudis audaxviator seit dem Auseinanderweichen der heutigen Kontinente nicht nennenswert weiterentwickelt hat. Die heute im Gestein der tiefen Biosphäre lebenden Bakterien könnten damit möglicherweise noch nahezu identisch mit ihren Vorfahren aus dem Zeitalter von Pangäa sein. „Das klingt geradezu verrückt und widerspricht völlig dem aktuellen Verständnis mikrobieller Evolution“, so Stepanauskas.

Stabile DNA trotz anhaltender Zellteilung

Nähere Analysen enthüllten zudem, dass dieses Bakterium die Zeit nicht einfach als Spore oder in einem sonstigen Ruhezustand überdauert haben kann. Denn selbst Sporen halten nur wenige hundert Jahre und eine Ruhephase kann unter den hohen Temperaturen ihrer Lebensräume ebenfalls nur wenige Jahre anhalten, wie die Forschenden erklären.

Demnach müssen diese Mikroben sich im Verlauf dieser Jahrmillionen ganz normal vermehrt und geteilt haben – wenn auch sehr langsam. Becraft und sein Team schätzen die Generationsdauer von Candidatus Desulforudis audaxviator je nach Temperatur auf ein bis zehn Jahre. Allein durch zufällige Kopierfehler bei diesen Teilungen müssten sich im Laufe der Zeit erhebliche Unterschiede im Erbgut der getrennten Populationen entwickelt haben – doch genau das scheint nicht der Fall.

Im Widerspruch zu gängigen Annahmen

Die Wissenschaftler vermuten, dass dieses Bakterium einen besonders potenten Schutz gegen zufällige Mutationen besitzt. „Die plausibelsten Mechanismen hinter dieser extremen Genom-Konservierung sind eine besonders präzise DNA-Replikation und hochwirksame Reparaturmechanismen“, so das Team. Das Bakterium scheint über Enzyme zu verfügen, die Kopierfehlern und DNA-Schäden effektiv entgegenwirken.

„Diese Entdeckung zeigt, dass wir sehr vorsichtig mit unseren Vorannahmen über das Tempo der Evolution und den Baum des Lebens sein müssen“, betont Becraft. „Einige Organismen scheinen die Evolution im Sprinttempo zu durchlaufen, während andere sich eher im Kriechgang weiterentwickeln.“ Das könnte auch bedeuten, dass die auf der Mutationsrate beruhenden „molekularen Uhren“ zur Datierung von Stammbäumen teilweise falsch liegen. (ISME Journal, 2021; doi: 10.1038/s41396-021-00965-3)

Quelle: Bigelow Laboratory for Ocean Sciences

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