Er leuchtet nachts blau und kann damit ganze Küstenbereiche illuminieren: Der Einzeller Lingulodinium polyedrum. Dieser auch an unseren Küsten häufige Dinoflagellat ist – nicht zuletzt wegen seiner Leuchtfähigkeit – jetzt zur Alge des Jahres 2013 gekürt worden. Die gepanzerte Alge fasziniert aber auch noch aus vielen anderen Gründen: Ihr Erbgut enthält mehr Gene als das des Menschen, sie folgt einem ausgeprägten Tag-Nacht-Rhythmus und warum sie überhaupt leuchtet, ist auch noch nicht geklärt.
Der Einzeller Lingulodinium polyedrum gewinnt seine Energie wie alle Pflanzen durch Photosynthese und lebt deshalb in den lichtdurchfluteten oberen Schichten temperierter und warmer Meere. Wie alle Dinoflagellaten hat Lingulodinium zwei Geißeln, mit denen er sich im Wasser fortbewegt. Eine der beiden Geißeln treibt ihn mit Wellenbewegungen an, sodass sein Körper rotiert. So kam die Art zu ihrem Namen, da „dineo“ sich drehen oder wirbeln bedeutet. Nachts wandern Dinoflagellaten um sich rotierend mehrere Meter in die Tiefe, wo sie Nährstoffe aufnehmen, wie etwa Nitrat. Sind genügend Nährstoffe vorhanden, und hat das Meer eine für sie optimale Temperatur, kann sich der Flagellat massenhaft vermehren. In unseren Breiten machen Dinoflagellaten gemeinsam mit Kieselalgen den Hauptteil des pflanzlichen Planktons aus.
Blaues Meeresleuchten
Lingulodinium polyedrum ist einer der wenigen Dinoflagellaten, die mit einer biochemischen Reaktion in ihrem Inneren blaues Licht erzeugen können. Dieses Biolumineszenz genannte Phänomen bewerkstelligt der Einzeller in winzigen, abgeschlossenen Abteilen in seinen Zellen, den sogenannten Szintillonen, die das dazu notwendige Enzym und ein Binde-Eiweiß für das Substrat enthalten. Lingulodinium erzeugt blaue Lichtblitze, wenn Scherbewegungen an ihm rütteln oder die Zellen aufgebrochen werden und glimmt dann, besonders gegen Ende der Nacht. Werden mehrere Millionen Zellen gleichzeitig geschüttelt, etwa durch Boote oder sich brechende Wellen, verschwimmen Lichtblitze und Glimmen der einzelnen Zellen zu einem Leuchten. Das ist besonders gut an manchen Küsten während der Nacht zu beobachten.
Noch ist nicht endgültig geklärt, warum der Einzeller nachts überhaupt leuchtet. Einer bislang nicht widerlegten Hypothese zufolge locken die Dinoflagellaten damit Raubtiere an, die dann wiederum die Krebschen und andere Tiere auffressen, die sie selbst bedrohen. „Versuche zeigten, dass Fische, die beispielsweise kleine Krebse fressen, in der Nacht effektiver jagen, wenn die Dinoflagellaten leuchten. Dies wird als eine Art Alarmanlagenfunktion diskutiert“ erklärt Mona Hoppenrath vom Deutschen Zentrum für marine Biodiversitätsforschung (DZMB).
Nachts geht das Licht an
Die Alge folgt auch bei ihrem Leuchten einem Tag-Nacht-Rhythmus. „In der Nacht gibt es eine viel größere Anzahl von Szintillonen als am Tag. Diese enthalten die nachts auch vermehrt vorkommenden Eiweiße, die an der biolumineszenten Reaktion beteiligt sind“, führt Maria Mittag vom Institut Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven aus. Auch die Wanderung von den oberen Meeresschichten in die Tiefe werde bei der Alge von ihrer inneren Uhr gesteuert. „Interessanterweise ist die Periode des Biolumineszenz-Rhythmus bei Lingulodinium aber etwas kleiner als 24 Stunden, im Gegensatz zum Menschen, bei dem der Schlaf-Wach-Rhythmus – ohne die tägliche Justierung durch den Wechsel von Sonne und Nacht- bei etwa 25 Stunden liegt“, erklärt Mittag.
Ihre Leuchtfähigkeit verleiht der Alge auch ganz praktischen Nutzen: Sie kann zum Nachweis von Giften oder zum Testen neuer Wirkstoffe eingesetzt werden. Beispielsweise können Forscher bei giftigen Substanzen den Zeitpunkt bestimmen, an dem die meisten Lingulodinium-Zellen absterben und zerfallen, was am stärkeren Aufleuchten zu erkennen ist. Zum anderen können Lingulodinium-Zellen als Sensor für Versuche über Zellstress dienen, der sich ebenfalls über die Biolumineszenz messen lässt. „Als Testsystem eignet sich Lingulodinium besonders gut, weil er sich recht gut kultivieren lässt, weil schon einiges über ihn bekannt ist und die Biolumineszenz automatisiert zu messen ist“, erklärt Hoppenrath. „Außerdem kann mit diesem Einzeller die Zahl von Tierversuchen, mit denen sonst solche Erkenntnisse gewonnen werden, vermindert werden“.
Der leuchtende Einzeller fasziniert Biologen aber auch deshalb, weil er noch einige genetische Geheimnisse birgt. Bislang weiß niemand genau, warum dieser winzige Organismus viel mehr Erbsubstanz enthält, als der sehr viel größere Mensch oder warum die Gene für manche Eiweiße in tausenden von Kopien vorkommen, wie etwa die des genannten Bindeproteins oder das des Farbstoffes Peridinin, der ihm seine orange-braune Farbe verleiht. Die vielen Kopien erschweren es auch, ihn wissenschaftlich zu untersuchen, um etwa molekularbiologische Prozesse zu enträtseln.
(Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, 02.01.2013 – NPO)