Viele Singvögel ziehen im Winter nach Süden und navigieren dabei mithilfe gleich mehrerer „Kompasse“: die Sterne, das Magnetfeld, die Sonne und die Polarisation des Lichts. Wie aber bilden sie aus diesen unterschiedlichen Orientierungshilfen ein übergeordnetes zuverlässiges Navigationssystem? Woran „eichen“ sie ihren Kompass? Das haben jetzt Wissenschaftler herausgefunden und berichten darüber in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science.
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Seit 30 Jahren versuchen Wissenschaftler, eine Antwort auf die fundamentale Frage zu finden, wie Zugvögel die vielfältigen Ressourcen der Richtungsinformation zu einem in sich schlüssigen Navigationssystem verbinden. Bisherige Studien kamen hier zu sehr widersprüchlichen Ergebnissen. Während des Vogelzugs schien der angeborene Magnetsinn der Singvögel der Referenzfaktor für alle anderen Kompasse zu sein: Widersprachen sich Richtungsangaben, passten die Tiere die anderen „Navigationshilfen“ an den Magnetsinn an.
Das Gegenteil war allerdings vor der Zugperiode der Fall: Hier schien der Magnetsinn eher untergeordnet, dafür andere Faktoren wie das polarisierte Licht die Taktgeber. Wie waren diese Unterschiede zu erklären? Das fragten sich auch die Biologen Rachel Muheim, Suzanne Akesson und John Phillips vom Virginia Institute of Technology. Beim Durchsehen der bisherigen Ergebnisse fiel ihnen jedoch eine Unstimmigkeit auf:
Unstimmigkeiten im Experiment
„Es ist wichtig, wie man die Experimente durchführt. Denn entscheidend ist der Teil des Himmels direkt über dem Horizont“, erklärt Philips. „In den Konfliktexperimenten vor der Migration wurden die Vögel normalerweise in Außenkäfigen mit variierendem Magnetfeld gehalten, wo sie freien Blick auf den gesamten Himmel hatten, auch den Horizont. Beginnt jedoch die Migrationsphase, finden die Tests in so genannten Trichterkäfigen statt.“ In diesen engen Röhren geben die Kratzspuren der Vögel Hinweis auf ihren Zugdrang und die Richtung, in die sie streben. Doch die Röhren verdecken meist die unteren 20 Grad des Himmels. „Nur in zwei Versuchen von rund 30 konnten die Tiere den Horizont sehen und rekalibrierten prompt ihren Magnetkompass – genau wie in den Versuchen vor der Zugphase“, so Philips.
Licht als Schlüsselfaktor
Angestoßen durch diese Entdeckung führten die Wissenschaftler eigene Versuche durch. Sie fingen Savannah Spatzen im Yukongebiet in Alaska ein, brachten sie nach Süden und beobachteten ihr Migrationsverhalten – in Käfigen mit Horizontsicht. Die Ergebnisse bestätigten ihre Vermutungen: Die Spatzen nutzten nicht den Magnetsinn als Referenz, sondern passten diesen an einen anderen Eichfaktor an: das polarisierte Licht.
Polarisiertes Licht besteht aus Lichtwellen, die senkrecht zur Richtung ihres Strahlens schwingen. Bei Sonnenauf- und untergang zieht sich ein Band solchen Lichts von der tief stehenden Sonne senkrecht zum Zenit und schneidet den Horizont an zwei Stellen, jeweils 90 Grad rechts und links von der Sonne. Dieses „Richtkreuz“ aus Licht verändert seine Position mit der Jahreszeit und dem Standort. Nach Ansicht von Muheim und Philips nutzen die Zugvögel die Schnittpunkte dieses Lichtbands mit dem Horizont, um die geographische Nord-Südachse zu finden. An dieser Grundkoordinate richten sie dann ihre anderen Kompasssysteme aus.
(Virginia Tech, 11.08.2006 – NPO)