Genetik

Männchen sind genetisch simpler gestrickt

Weniger Gen-Wechselwirkungen erklären schnellere evolutive Veränderung

Bei den meisten Tierarten sind es die Männchen, die im Wettstreit um die Weibchen immer imposantere Merkmale ausprägen. Dadurch verändern sie sich im Laufe der Evolution deutlich schneller als die Weibchen – obwohl beide Geschlechter die gleichen Gene besitzen. Warum das trotzdem funktioniert und warum die Männchen in mancher Hinsicht simpler gestrickt sind, berichten Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences”.

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Die Tatsache als solches ist nichts Neues: Schon Darwin beobachtete, dass sich die Männchen einer Art im Laufe der Evolution dramatischer verändern als die Weibchen. Sie sind es, die ein immer bunteres Federkleid, komplexere Paarungsrufe oder imponierendere Gesten entwickeln, um im Wettstreit um die Weibchen vorne zu bleiben. Die sexuelle Selektion lässt diese Veränderungen in schnellem Tempo ablaufen – erstaunlich vor allem deshalb, weil die Männchen dabei im Prinzip die gleichen Gene besitzen wie die sich sehr viel langsamer entwickelnden Weibchen.

Wissenschaftler der Universität von Florida haben jetzt herausgefunden, warum das so ist. Sie untersuchten, wie die Expression verschiedener Gene von männlichen und weiblichen Fruchtfliegen vererbt wird. Mithilfe eines Mikroarrays verglichen sie Tausende von Genen gleichzeitig. Die Fliegen waren – mit Ausnahme der Geschlechtschromosomen – in 8.607 Genen absolut identisch. Von diesen allerdings wird die große Mehrheit, 7.617 Gene, unterschiedlich exprimiert. Im Klartext: Die gleichen Gene bewirken bei Männchen und Weibchen jeweils etwas Unterschiedliches.

Weniger Wechselwirkungen zwischen Genen

„Das liegt daran, dass die Männchen simpler sind“, erklärt Marta Wayne, Professorin für Zoologie am Institut für Genetik. „Die Art der Vererbung in Männchen basiert auf einer wesentlich einfacheren genetischen Architektur. Sie umfasst nicht so viele Wechselwirkungen zwischen Genen wie bei der weiblichen Vererbung.“

Tatsächlich zeigte sich, dass die von den Eltern geerbten Geschlechtschromosomen eine entscheidende Rolle spielen: Bei den Weibchen, die zwei X-Chromosomen besitzen, interagieren die auf diesen sitzenden Gene nicht nur miteinander, sondern in hohem Maße auch mit Genen auf anderen Chromosomen und greifen so möglicherweise auch in de Genexpression ein. Männchen dagegen besitzen nur eine Version des X-Chromosoms. Auf ihrem Y-Chromosom liegen nur sehr wenige Gene, entsprechend gering sind die Interaktion der Geschlechtschromosomen-Gene untereinander und mit anderen Genen.

Doppeltes X bremst Veränderungen, aber bringt Stabilität

„Bei Weibchen kann ein dominantes Allel die Präsenz eines rezessiven verbergen“, erklärt Lauren McIntyre, Professorin für molekulare Genetik und Mikrobiologie. „Im Gegensatz zu den Weibchen, die von jedem Elternteil ein X-Chromosom erhalten haben, haben die Männchen nur ein X-Chromosom von ihrer Mutter. Das macht ihren Mechanismus einfacher und könnte zusammen mit der sexuellen Selektion dazu beitragen, dass sich Männchen schneller entwickeln.“

„Die beste Art, sich das klarzumachen, ist es, sich Männchen als mit nur einer Karte spielend vorzustellen, Weibchen aber haben immer noch eine zweite in der Hinterhand.“, erklärt David Rand von der Brown Universität. „Wenn die Männchen eine günstige Eigenschaft haben, wird sie weitergegeben, wenn sie schlecht ist, geht sie unter. Beim Weibchen aber kann die schlechte Karte durch die gute abgeschirmt werden. Dadurch können die Weibchen auch ungünstige Genvarianten behalten, die einfach nicht exprimiert werden.“

Unterschiedliche Genexpression mit medizinischen Folgen

Fruchtfliegen und Menschen haben mehr als 65 Prozent ihrer Gene gemeinsam, darunter viele, die an Krankheiten wie Alzheimer oder Krebs beteiligt sind. Die neuen Ergebnisse tragen daher auch dazu bei, besser zu verstehen, warum Männer und Frauen unterschiedlich anfällig für bestimmte Krankheiten sind oder andere Symptome ausbilden.

„Es betrifft auch unsere Gesundheit, wenn wir herausfinden, welche Unterschiede es in der Genexpression der Geschlechter gibt“, so Wayne. „Einen Mann oder eine Frau zu machen hängt – selbst bei einer Fruchtfliege – von dem Anschalten von Dingen ab – sei es in verschiedenen Gen-Orten oder in unterschiedlichem Maße oder aber zu verschiedenen Zeiten. Denn im Prinzip beginnen wir alle mit dem gleichen Satz von Genen.“

(University of Florida, 16.11.2007 – NPO)

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