Entwarnung für die Männerwelt: Auch in ferner Zukunft wird das männliche Geschlecht weder aussterben noch das Chromosom verlieren, das den Mann genetisch charakterisiert: das Y-Chromosom. US-amerikanische Wissenschaftler haben die gängige Theorie entkräftet, nach der das männliche Geschlechtschromosom in den nächsten Jahrmillionen weiter verkümmern und schließlich verloren gehen wird. Das Y-Chromosom habe sich in den letzten 25 Millionen Jahren nur wenig verändert, berichten die Forscher im Fachblatt „Nature“.
Das nur bei Männern vorhandene Y-Chromosom ist im Gegensatz zu dem weiblichen X-Chromosom stark verkümmert. Einen Großteil seiner Erbinformationen verlor es im Laufe der Evolution. Statt mehr als 1.100 Gene wie sein weiblicher Gegenpart enthält es heute nur rund 200 davon. Darunter unter anderem Gene, die für die Spermienproduktion wichtig sind.
Theorie vom schwindenden Y-Chromosom
Aus dieser Beobachtung heraus entstand die Theorie, dass das Y-Chromosom innerhalb der nächsten zehn Millionen Jahre auch noch seine restlichen funktionellen Gene einbüßen werde und damit letztlich ganz verschwinden. Allerdings gingen auch dabei die Forscher nie davon aus, dass die Männerwelt deshalb komplett aussterben wird. Aber die genetischen Unterschiede der Geschlechter wären dann nicht mehr am 23. Chromosomenpaar ablesbar.
Die Theorie vom schwindenden Y-Chromosom haben Jennifer Hughes vom Massachusetts Institute of Technology und ihre Kollegen jetzt widerlegt: Ihren Untersuchungen nach ist in der jüngeren Vergangenheit nur bei den evolutionär jüngsten Genen des Y-Chromosoms Erbinformation verloren gegangen. Beim Großteil seines Erbguts hingegen „hat der Genverlust offensichtlich vor mehr als 25 Millionen Jahren aufgehört“, schreiben die Forscher. Und das, obwohl es durchaus einige Gene auf diesen Chromosom gebe, die ihre eigentliche Funktion schon lange verloren zu haben scheinen und heute offenbar nutzlos seien.
Chromosomenvergleich mit Schimpanse und Rhesusaffe
Für ihre Studie hatten die Wissenschaftler das Y-Chromosom des Menschen mit dem des Schimpansen und des Rhesusaffen verglichen. Sie wollten herausfinden, ob im Laufe der Evolution dieser drei verwandten Arten ein stetiger Genverlust zu beobachten ist, der die Theorie des aussterbenden Y-Chromosoms stützt. Das sei jedoch eindeutig nicht der Fall gewesen. „Der Verlust der Urgene schritt anfangs schnell voran, aber verlangsamte sich dann merklich“, schreiben Hughes und ihre Kollegen.
Der Hauptteil des Erbguts aus dem Y-Chromosom hätte bereits einen stabilen Punkt erreicht, bevor sich in der Evolution der Mensch vom Rhesusaffen abspaltete. Nur drei Prozent des Erbguts auf dem Y-Chromosom gehört zu dem Genbereich, in dem während der Entwicklung vom Rhesusaffen zum Menschen Gene verloren gegangen sind, schreiben die Forscher. Im menschlichen Erbgut seien danach sogar noch Gene hinzugekommen.
Viele Sexpartner treiben Evolution voran
Meerkatzenartige, zu denen der Rhesusaffen zählt, und der Mensch sind durch 25 Millionen Jahre Evolution getrennt – der Mensch und der Schimpanse nur durch sechs Millionen Jahre. Was das Y-Chromosom angeht, waren die Unterschiede zwischen Mensch und Schimpanse sogar größer als zwischen Mensch und Rhesusaffe: Die Forscher fanden fünf Urgene des Rhesusaffen, die der Schimpanse während seiner Entwicklung verloren hat, während der Mensch sie noch besitzt.
Dass der Schimpanse so häufig seine Geschlechtspartner wechselt und es daher mehr Konkurrenz beim Sperma gebe, könnte die schnelle Evolution in dieser Tierart vorangetrieben haben, vermuten Hughes und Kollegen. Denn einige Gene auf dem Y-Chromosom regulieren die Bildung der Spermien. (Nature, 2012; doi: 10.1038/nature.10843)
(Nature / dapd, 23.02.2012 – NPO)