Neurobiologie

Mamas Stimme wirkt anders als jede andere

Zahlreiche Hirnregionen reagieren auf die mütterliche Stimme intensiver

Keine Stimme wirkt auf Kinder wohl so beruhigend wie die der eigenen Mutter © iStock.com/ wavebreakmedia

Spricht Mama oder eine fremde Frau? Die Antwort auf diese Frage beeinflusst, wie das Gehirn reagiert. Ein Experiment zeigt: Die Stimme der Mutter aktiviert bei Kindern zahlreiche Hirnregionen, die bei einer anderen Stimme nicht oder nur wenig aktiv sind. Sie spricht nicht nur das Hörzentrum des Gehirns stärker an – sondern versetzt unter anderem Bereiche in Aktion, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig sind, berichten Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.

Ob hoch oder tief, ob piepsig oder rauchig – die Stimme eines Menschen ist so individuell wie sein Fingerabdruck. Schon Babys sind in der Lage, zwischen den Stimmen unterschiedlicher Menschen zu differenzieren und die in ihnen ausgedrückten Emotionen zu erkennen.

Besonders stark reagieren sie dabei auf die Stimme der eigenen Mutter. Sie ist wohl die Lieblingsstimme aller Kinder – und hat enormen Einfluss auf ihr Verhalten. Studien belegen etwa: Einen Tag alte Neugeborene saugen deutlich intensiver an ihrem Schnuller, wenn sie den Klang der mütterlichen Stimme anstatt den einer fremden Frau vernehmen.

Stimmentest mit Kindern

„Welche Mechanismen im Gehirn für diese Vorliebe verantwortlich sind, das war bislang jedoch unklar“, sagen Wissenschaftler um Daniel Abrams von der Stanford University School of Medicine. Sein Team hat nun erstmals untersucht, welchen Einfluss die mütterliche Stimme auf das Denkorgan der Kinder hat.

Zu diesem Zweck erstellten die Forscher erstmals Hirnscans von Kindern, die der Stimme ihrer Mutter lauschen. Insgesamt 24 gesunde Jungen und Mädchen im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren nahmen an der Studie teil. Deren Eltern befragten Abrams und seine Kollegen zunächst mithilfe eines standardisierten Fragebogens über das Sozialverhalten ihrer Sprösslinge.

Anschließend hörten die Kinder eine Aufnahme der mütterlichen Stimme, die drei fiktive Wörter ohne Sinn sagte. Als Kontrolle bekamen sie dieselben Wörter zudem von einer Frauenstimme vorgespielt, die ihnen unbekannt war. „Wir wollten keine Wörter mit Bedeutung verwenden, weil das mehr Prozesse im Gehirn in Gang setzen würde als die reine Reaktion auf die Stimme“, erklären die Forscher.

Mütterliche Stimme aktiviert zahlreiche Hirnregionen

Die Ergebnisse zeigten nicht nur, dass die Kinder die Stimme ihrer Mutter schon in einer weniger als eine Sekunde langen Aufnahme fast immer erkennen konnten – im Test lag die Trefferquote bei mehr als 97 Prozent. Der charakteristische Klang hatte auch signifikante Auswirkungen auf die Reaktion des Gehirns, wie die Wissenschaftler berichten.

Die Hirnbilder offenbarten: Durch die mütterliche Stimme werden zahlreiche Hirnregionen intensiv angesprochen, die auf eine fremde gar nicht oder mit deutlich geringerer Aktivität reagieren. Dabei waren nicht nur Bereiche im auditiven Kortex signifikant aktiver, sondern auch solche, die für die Verarbeitung von Informationen und Belohnungsmechanismen eine Rolle spielen: die Amygdala und das mesolimbische System.

Außerdem entdeckten die Forscher eine erhöhte Aktivität in Regionen, die für das Erkennen von Gesichtern zuständig sind, sowie für die Wahrnehmung der eigenen Person. „Wie viele Bereiche involviert waren, war wirklich überraschend“, sagen die Forscher. „Uns war nicht klar, dass die Stimme der Mutter einen so schnellen Zugriff auf so viele verschiedene Hirnsysteme hat.“

Vernetzung als Maß für Kommunikationsfähigkeit

Wie die Forscher betonen, ist die mütterliche Stimme für das emotionale Wohlbefinden eines Kindes enorm wichtig. Zudem lernten wir viele soziale, sprachliche und emotionale Fähigkeiten beim Hören der mütterlichen Stimme. Wie gut diese Fähigkeiten ausgeprägt sind, auch das konnte Abrams Team teils am Gehirn der Kinder ablesen.

Denn je stärker die Vernetzung zwischen den von der Stimme der Mutter angesprochenen Hirnregionen bei einem Kind war, desto besser schätzten die Eltern seine soziale Kommunikationsfähigkeit ein. Das Ausmaß der Verknüpfung könne demnach ein Indiz für ebendiese Fähigkeit sein, so die Wissenschaftler.

Wie weit reicht der Einfluss?

„Das ist ein interessanter Ansatz, um soziale Kommunikationsdefizite, zum Beispiel bei Kindern mit Autismus, zu studieren“, schreiben Abrams und seine Kollegen. Sie wollen deshalb nun eine vergleichbare Studie mit Autismus-Patienten durchführen, um mögliche Unterschiede in deren Hirnaktivität feststellen zu können.

Ein weiterer Fokus künftiger Forschung liegt zudem auf der Frage, wie sich die Hirnreaktionen auf die Stimme der Mutter im Laufe des Erwachsenwerdens verändern. „Die Stimme ist eine der wichtigsten Schlüssel für Kommunikation. Es ist aufregend zu sehen, dass das Echo der mütterlichen Stimme in so vielen Hirnregionen nachhallt“, schließen die Forscher. (PNAS, 2016; doi: 10.1073/pnas.1602948113 )

(Stanford University Medical Center, 17.05.2016 – DAL)

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