Mikrobiologie

Manche Mikroben fressen selbst Desinfektionsmittel

Stadtkeime passen sich auf ungewöhnliche Weise an die Umgebung an

verschiedene Mikroben aus städtischer Umgebung unter dem Mikroskop
Auswahl aus der mikrobiellen Vielfalt des Mikrobioms, das städtische Umgebungen sowie Menschen besiedelt. Im Uhrzeigersinn beginnend oben links: Streptococcus; Bacillus; mikrobieller Biofilm vom menschlichen Körper bestehend aus verschiedenen Mikroben; Malassezia lopophilis. © Tom Schmidt; A. Earl, Broad Institute/MIT; J.H, CDC; Bildkomposition: Jonathan Bailey, National Human Genome Research Institute, NIH

Putzen zwecklos? Die Mikroben in unseren Städten haben sich nicht nur bestens an die knappen Ressourcen in der menschengemachten Umgebung angepasst – sie nutzen sogar eigentlich für sie schädliche Substanzen als Nahrung: Desinfektionsmittel. In Proben aus Hongkong haben Biologen Bakterien entdeckt, die gegen Alkohol und Reinigungschemikalien resistent sind und deren Bestandteile als Nahrung verstoffwechseln. Das Team entdeckte zudem hunderte zuvor unbekannte und einige exotische Bakterienarten. Was heißt das für unsere Gesundheit?

Seit der Corona-Pandemie hat der Einsatz von Desinfektionsmitteln zugenommen. Wir bemühen uns, mithilfe von Putz- und Reinigungsmitteln sterile Umgebungen zu schaffen, in denen Mikroorganismen wie Bakterien, Viren, Archaeen und Pilze keine Chance haben. Allerdings sind Mikroben wandelbare Wesen und können sich an ihre Umgebung und auch an Gegenmittel anpassen. Davon zeugen nicht zuletzt die zunehmenden Antibiotika-Resistenzen vieler Bakterien.

Doch wie sieht es mit der Mikrobenreaktion auf Desinfektionsmittel aus? „Unsere Verwendung von Reinigungsprodukten schafft eine einzigartige Umgebung, die selektiven Druck auf Mikroben ausübt, an die sie sich anpassen müssen, um nicht eliminiert zu werden. Aber die Mechanismen, durch die sich Mikroben anpassen und in gebauten Umgebungen überleben, sind nur unzureichend verstanden“, erklärt Xinzhao Tong von der Xi’an Jiaotong-Liverpool University (XJTLU) in China.

Welche Mikroben leben in der Großstadt?

Wie genau die Mikroben auf unseren Putzwahn reagieren, hat ein Team um Tong nun anhand der städtischen Umgebungen in Hong Kong untersucht. Anders als in der Natur haben Mikroorganismen es dort generell schwer: „Gebiete mit vielen Gebäuden sind arm an traditionellen Nährstoffen und essentiellen Ressourcen, die Mikroben zum Überleben benötigen. Daher haben diese gebauten Umgebungen ein einzigartiges Mikrobiom“, erklärt Tong.

Um herauszufinden, welcher Selektionsdruck durch unser Putzverhalten für die Mikroben in letzter Zeit hinzugekommen ist, sammelten die Biologen 738 Proben aus verschiedenen öffentlichen und privaten Gebäuden, der U-Bahn, Bootanlegern und der Haut von Bewohnern in Hong Kong. Anschließend sequenzierten sie das Genom der darin enthaltenen Mikroorganismen und verglichen deren genetische Ausstattung.

Genetisch an städtische Umwelt angepasst

In diesen Proben fand das Team 860 verschiedene Mikroorganismen, fast ausschließlich Bakterien. Darunter waren weit verbreitete Arten wie Micrococcus luteus und Cutibacterium acnes, aber auch 373 Stämme, die bislang unbekannt waren. „Das Mikrobiom der U-Bahn-Luft enthielt die höchste Artenzahl, das Mikrobiom auf der Pieroberfläche war am vielfältigsten und gleichmäßigsten und das Mikrobiom der Haut war am wenigsten vielfältig und am ungleichmäßigsten“, berichten Tong und ihre Kollegen.

Die Genomanalysen enthüllten, dass einige dieser Mikroben Gene für Enzyme besitzen, mit deren Hilfe sie unter anderem Schutz- und Abwehrstoffe herstellen und menschengemachte Produkte verstoffwechseln können. Dadurch können sie auch sonst wenig ergiebige Stadtmaterialien als Kohlenstoff-, Stickstoff- und Energiequelle, kurz gesagt: als Nahrung nutzen. Die menschliche Haut dient ihnen unter anderem als Fett- und Aminosäurequelle.

Desinfektionsmittel als Futterlieferanten

Das Überaschende dabei: Zum städtischen Mikrobenfutter zählen offenbar auch unsere Putzmittel. Das zeigt unter anderem das Beispiel eines zuvor nur aus der Antarktis bekannten säuretoleranten Bakteriums, welches das Team nun auf Handflächen fand: „Das Genom dieses Stammes von Eremiobacterota ermöglicht es ihm, Ammoniumionen, die in Reinigungsprodukten enthalten sind, zu verstoffwechseln. Der Stamm hat auch Gene für Alkohol- und Aldehyddehydrogenasen, um Restalkohol abzubauen, der in herkömmlichen Desinfektionsmitteln enthalten ist“, berichtet Tong.

Die Biologen schließen daraus, dass sich die Mikroorganismen genetisch bereits an das spezifische Nahrungsangebot in städtischen Umgebungen angepasst haben – und an eigentlich für sie schädliche Substanzen. „Mikroben, die über verbesserte Fähigkeiten verfügen, begrenzte Ressourcen zu nutzen und hergestellte Produkte wie Desinfektionsmittel und Metalle zu tolerieren, verdrängen nicht-resistente Stämme“, sagt Tong. Angepasste Bakterien sind demnach evolutionär im Vorteil und breiten sich eher aus.

Gesundes Miteinander von Mensch und Mikrobe

Für uns Menschen ist dies nur dann gefährlich, wenn die resistenten Keime Krankheiten verursachen. Das ist nicht immer der Fall, einige Bakterien können aber insbesondere in Krankenhäusern zu einem ernsten Problem für Personal und Patienten werden. Tong und ihre Kollegen wollen daher in Folgestudien genauer untersuchen, welche dieser angepassten Stadtmikroben in Krankenhäusern vorkommen und wie viele davon gegen Desinfektionsmittel resistent sind.

Langfristig helfen die Erkenntnisse dabei, eine gesunde städtische Umgebung zu schaffen, in der nur nicht-pathogene Mikroben vorkommen. In einigen Fällen können Stadtmikroben sogar eine gesundheitsfördernde Symbiose mit uns eingehen: So fanden die Forscher auf der menschlichen Haut beispielsweise einen Stamm aus der Gruppe der Patescibakterien, der Gene für die Biosynthese von Carotinoiden und Ubichinon enthält.

„Diese antioxidativen Verbindungen sind für den Menschen lebenswichtig. Wir nehmen sie, insbesondere Carotinoide, in der Regel über unsere Ernährung auf“, erklärt Tong. Dass die Hautbakterien diese Substanzen herstellen, deutet auf eine mögliche wechselseitige Beziehung zwischen ihnen und uns als ihren Wirten hin. (Microbiome, 2024; doi: 10.1186/s40168-024-01926-6)

Quelle: Xi’an Jiaotong-Liverpool University

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