Mysterium der Tiefe: Am Grund des Marianengrabens haben Forscher eine ganz neue Lebenswelt entdeckt. Denn dort existieren Unmengen von Erdölfressern – Mikroben, die langkettige Kohlenwasserstoffe fressen. Ihre Zahl schnellt unterhalb von 10.400 Metern abrupt in die Höhe, wie Proben enthüllen. Merkwürdig nur: Diese Bakterien scheinen geradzahlige Kohlenstoffketten zu fressen – und bisher ist kein Organismus bekannt, der solche Kohlenwasserstoffe erzeugen kann.
Der Marianengraben ist der tiefste Punkt der Erdoberfläche – knapp 11.000 Meter liegt der Grund dieses Tiefseegrabens unter dem Meeresspiegel. Hier herrschen ewige Dunkelheit und auf jedem Quadratzentimeter lastet der Druck gut einer Tonne. Nur wenige Expeditionen haben sich bisher in diese lichtlosen Tiefen vorgewagt. Doch sie enthüllten bereits Überraschendes: In dieser extremen Umwelt leben überraschend viele Mikroben und auch größere Tiere scheinen bis in die Tiefen abzutauchen.
Abrupter Anstieg der Mikrobendichte
Auf eine weitere erstaunliche Eigenheit des Marianengrabens sind nun Jiwen Liu von der Meeresuniversität in Qingdao und sein Team gestoßen. Sie hatten von einem Forschungsschiff aus Wasserproben aus verschiedenen Wassertiefen im Graben sowie Sedimentproben vom Grabengrund gesammelt und sie mittels DNA- und RNA-Analysen auf ihre mikrobiellen Bewohner hin analysiert.
Das überraschende Ergebnis: Die Mikrobendichte im Meerwasser nahm zwar bis in rund 4.000 Meter Tiefe stetig ab, dann jedoch stiegen die Bakterienzahlen wieder an. Ausgerechnet in der tiefsten Zone des Grabens, in 10.400 Metern Tiefe, gab es sogar einen sprunghaften Anstieg der Mikrobendichte. „Gegenüber den Werten bei 9.600 Metern gab es eine 5,6-fache Zunahme“, berichten die Forscher. „Das deutet darauf hin, dass in dieser Tiefe eine eigene bakterielle Nische existiert.“
Hartgesottene Erdölfresser
Analysen ergaben, dass es sich bei den Bakterien am Grund des Marianengrabens um Angehörige der Ordnung Oceanospirillales handelt. Diese Mikroben sind dafür bekannt, dass sie Erdöl und andere Kohlenwasserstoffe abbauen können. „Sie erzeugen daraus ihre Energie“, erklärt Koautor Jonathan Todd von der University of East Anglia. Tatsächlich zeigten die Gen-Analysen, dass auch die Bewohner des Marianengrabens die dafür nötige Zellmaschinerie besitzen.
Bisher waren solche „Erdölfresser“ nur aus deutlich flacheren Meeresgebieten bekannt. Doch als die Forscher Kulturen dieser Bakterien im Labor unter dem Druck der Tiefsee kultivierten und sie mit verschiedenen langkettigen Kohlenwasserstoffen fütterten, vermehrten sie sich erfolgreich. „Das spricht dafür, dass diese Oleibacter-Arten sich an die Kälte und den hohen Druck angepasst haben“, so Liu und sein Team.
„Mehr als irgendwo sonst auf der Erde“
Erstaunlich auch: „Der Anteil der Kohlenwasserstoff-abbauenden Bakterien ist mehr als 10.400 Meter tief im Marianengraben größer als irgendwo sonst auf der Erde“, berichten die Forscher. „Das wirft ein ganz neues Licht auf die biologischen Prozesse in dieser extremen Umwelt.“ Gleichzeitig weckt es die Frage danach, warum die „Erdölfresser“ so abrupt die Oberhand in diesen mikrobiellen Gemeinschaften der Tiefsee gewinne. Denn ihre Zahl erst kurz über dem Grund abrupt in die Höhe.
Doch woher nehmen diese mikrobiellen Erdölfresser ihre Nahrung? Die naheliegende Antwort wäre, dass die Kohlenwasserstoff-Verbindungen aus höheren Wasserschichten in den Tiefseegraben hinabrieseln. Tatsächlich fanden die Wissenschaftler in Wasserproben aus verschiedenen Tiefen Spuren solcher Verbindungen. Die Menge solcher Partikel nahm sogar mit der Tiefe leicht zu.
Mysteriöse Produzenten
Merkwürdig nur: Die Kohlenwasserstoffe am Grund des Marianengrabens und in den Bakterienproben waren ganz andere: „Sie unterscheiden sich von den Profilen der absinkenden Proben“, berichten die Forscher. Denn am Grund des Grabens dominierten Alkane mit geradzahligen Kohlenstoffketten, im Wasser darüber aber solche mit ungeraden Kettenlängen. „Das spricht dafür, dass diese geradkettigen Alkane eine ganz andere Quelle haben müssen“, so Liu und sein Team.
Das „Futter“ der Erdölfresser vom Marianengraben stammt demnach offenbar nicht aus höheren Wasserschichten, sondern wird vor Ort produziert – möglicherweise von noch unbekannten Mikroben. Allerdings: „Die bisher bekannten Kohlenwasserstoff-produzierenden Meeresorganismen synthetisieren nur Kohlenwasserstoffe mit ungeraden Ketten“, erklären die Forscher. „Diese mikrobiellen Produzenten müssen demnach einen anderen und noch nicht verstandenen Biosyntheseweg nutzen.“
Ganz neue Lebenswelt
Die neuen Entdeckungen im Marianengraben beleuchten damit eine ganz neue Lebenswelt unseres Planeten. Am tiefsten Punkt der Erde existiert offenbar eine Gemeinschaft von Bakterien, die einen ganz eigenen Stoffkreislauf entwickelt hat. Wer genau daran teilhat und wer die Kohlenwasserstoff-Nahrung für diese Organismen bereitstellt, ist jedoch bisher unbekannt.
„Die Mikroben zu identifizieren, die diese Kohlenwasserstoffe erzeugen, ist nun eine unsere Top-Prioritäten“, sagt Lius Kollege Xiao-Hua Zhang. Das könnte nicht nur die Lebenswelt am Grund des Marianengrabens aufklären, sondern auch dabei helfen zu erkunden, ob solche exotischen Erdölfresser auch in anderen Tiefseegräben existieren. (Microbiome, 2019: doi: 10.1186/s40168-019-0652-3)
Quelle: University of East Anglia