Der diesjährige Nobelpreis für Medizin steht ganz im Zeichen der Viren: Er geht zur Hälfte an die beiden französischen Virologen Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier, die als erste den Aids-Virus isolierten und nachwiesen, die andere Hälfte erhält der deutsche Virologe und Krebsforscher Harald zur Hausen, der den Zusammenhang von Gebärmutterhalskrebs und dem Humanen Papilloma Virus (HPV) entdeckte.
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HPV: gegen die Lehrmeinung
Es ist klein, kugelförmig und kann jeden treffen: Das Humane Papillomavirus (HPV). Mehr als 20 Millionen Menschen weltweit sind heute mit diesem DNA-Virus infiziert. Über die Hälfte aller Menschen werden im Laufe ihres Lebens mit dem sexuell übertragbaren Erreger infiziert. Mehr als 130 Varianten des Virus sind inzwischen identifiziert. Und 18 davon haben es in sich: Denn sie gelten als Hochrisikotypen und potenziell krebserzeugend. Vor allem der HPV-16 und HPV-18-Typ sind, wie man heute weiß, die Hauptverursacher von Gebärmutterhalskrebs. Weltweit gehen fünf Prozent aller Krebsfälle auf ihr Konto, unter Frauen ist das Cervixkarzinom die zweithäufigste Krebserkrankung überhaupt.
Dass der Zusammenhang zwischen HPV und Gebärmutterhalskrebs heute einer der best untersuchten und nachgewiesenen überhaupt ist, verdankt die Medizin vor allem dem jetzt ausgezeichneten Nobelpreisträger Harald zur Hausen. Der am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg forschende Wissenschaftler ließ sich von der in den 1970er Jahren vorherrschenden Lehrmeinung nicht beirren und postulierte bereits damals einen Zusammenhang von HPV und Gebärmutterhalskrebs.
Nahezu zehn Jahre dauerte es, bis er Viren-DNA in Tumorzellen nachweisen konnte. 1983 entdeckte er den neuen tumorerzeugenden Stamm HPV-16, 1984 gelang es zur Hausen, aus dem Gewebe von Patientinnen mit Cervixkarzinom, die die beiden Stämme HPV-16 und 18 zu klonen. Heute werden diese Virenstämme in 99,7 Prozent aller Patientinnen nachgewiesen. Zur Hausens Ergebnisse führten zu einem Wandel im Verständnis der krebsauslösenden Mechanismen und trugen dazu bei, dass ein Impfstoff entwickelt werden konnte, der einen 95prozentigen Schutz vor HPV-16 und 18 bietet.
HIV: Entschlüsselung einer Pandemie
Kaum eine andere Krankheit hat der Menschheit so nachhaltig die Illusion eines Sieges über Krankheitserreger genommen wie Aids. Als sich Anfang der 80er Jahre eine neuartige Seuche zunächst unter den Drogenabhängigen, dann unter den Homosexuellen in den USA auszubreiten begann, standen die Mediziner zunächst vor einem Rätsel. Die so verschiedenartigen Symptome machten es anfangs schwer, darin überhaupt einen gemeinsamen Nenner zu erkennen.
Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier vom Institut Pasteur in Paris gehörte zu den ersten, die sich auf die Suche nach dem Erreger dieser neuen Seuche machten. Und sie wurden fündig: In den Lymphknoten von Aids-Patienten im Frühstadium wiesen sie die Aktivität des Enzyms Reverse Transkriptase nach, einem direkten Anzeiger für die Vermehrung eines Retrovirus im Körper. Wenig später entdeckten sie auch die Viren selbst, die aus infizierten Zellen austraten. Die Forscher identifizierten ihn 1983 als einen Lentivirus – und damit den ersten humanpathogenen dieser Virengruppe.
In Laborversuchen stellte sich schnell heraus, dass isolierte HIV-Viren Lymphozyten infizieren und abtöten können und dass Antikörper von infizierten Personen auf dieses Virus reagierten. Die beiden Wissenschaftler klonten erfolgreich den Virenstamm HIV-1 und machten ihn Wissenschaftlern weltweit zugänglich.
Bittere Niederlage für Robert Gallo
Nahezu zeitgleich hatte auch der amerikanische Virenforscher und Entdecker der ersten menschlichen Retroviren, Robert Gallo, das Virus identifiziert und zunächst als HTLV-3 (humanes T-Zell-lymphotropes Retrovirus Typ 3) bezeichnet. 1988 erhielt Gallo dafür gemeinsam mit Montagnier den Japan-Preis, lange Zeit herrschte Streit darüber, wer den HIV-Virus tatsächlich als ersten eindeutig identifiziert hatte. Die heutige Entscheidung des Nobelpreis-Komitees fiel eindeutig zugunsten der Franzosen aus, Gallo wird in der Presseerklärung der Nobel Foundation nicht einmal namentlich erwähnt.
Doch unabhängig davon war die Entdeckung und Identifizierung des Aids-Erregers einer der wichtigsten und schnellsten Durchbrüche in der Seuchenforschung. Die Kenntnis des Virus war die Voraussetzung nicht nur von Aids-Tests, sondern auch für die Entwicklung von Wirkstoffen, die die Vermehrung des Virus im Körper der Infizierten und den Ausbruch der Aids-Erkrankung verhindern. Alle bis heute erreichten Fortschritte in der Aids-Bekämpfung wären ohne dies nicht möglich gewesen. Auch die Erkenntnisse über Ursprung und Verbreitung von HIV beruhen letztlich darauf.
(Nobel Foundation, 06.10.2008 – NPO)