Der diesjährige Nobelpreis für Medizin geht an drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die eines der großen Rätsel der Biologie gelöst haben: Sie fanden heraus, wie die Zelle sicherstellt, dass die Chromosomen bei der Zellteilung vollständig kopiert werden und wie sie gegen eine Degradierung geschützt werden. Ausgezeichnet wurden zu je einem Drittel Elizabeth H. Blackburn von der Universität von Kalifornien in San Francisco, Carol W. Greider von der Johns Hopkins Universität in Baltimore und Jack W. Szostak vom Howard Hughes Medical Institute in Boston.
Das Rätsel der Telomere
Als Elizabeth Blackburn von der Universität von Kalifornien in San Francisco noch am Anfang ihrer wissenschaftlichen Karriere stand, untersuchte sie die Chromosomen eines einzelligen Wimperntierchen, Tetrahymena. Dabei entdeckte sie, dass sich am Ende jedes Chromosoms eine bestimmte DNA-Sequenz mehrfach wiederholte. Die Funktion dieser Abfolge, CCCCAA, blieb jedoch zunächst unklar.
Zur gleichen Zeit machte ihr heutige Mit-Nobelpreisträger Jack Szostak von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore die Beobachtung, dass ein bestimmtes lineares DNA-Molekül, eine Art Minichromosom, sehr schnell degradierte und abgebaut wurde, wenn er es in Hefezellen einschleuste. Beide trafen sich auf einer Konferenz im Jahr 1980 und beschlossen, ein gemeinsames Experiment durchzuführen, das möglicherweise einen Zusammenhang zwischen ihren jeweiligen Forschungen herstellte.
…und ein bahnbrechendes Experiment
Blackburn isolierte ihre Tetrahymena-CCCCAA-Sequenz und Szostak verband diese mit seinen Minichromosomen und schleuste beides erneut in seine Hefezellen ein. Die 1982 veröffentlichten Ergebnisse waren eine Sensation: Die DNA-Sequenz aus den Endstücken des Wimperntierchen-Chromosoms verhinderte die Degradierung, die zuvor die Minichromosomen in der Hefe zerstört hatte. Das Telomer, wie dieses endständige Chromosomenstück bezeichnet wurde, war offensichtlich die Basis für einen fundamentalen – und sogar artübergreifend wirksamen – Mechanismus zum Schutz der chromosomalen DNA. Spätere Untersuchungen bestätigten, dass solche Telomere tatsächlich in nahezu allen Lebewesen von der Amöbe zum Menschen und der Alge zum Baum vorhanden sind.
Was steuert die Telomer-Bildung?
Nachdem die Bedeutung der Telomere klar war, machte sich Blackburn gemeinsam mit ihrer damaligen Doktorandin und heutigen Mit-Nobelpreisträgerin Carol Greider an die nächste Frage: Welcher Mechanismus sorgt dafür, dass Telomere gebildet werden? Gab es ein bestimmtes Enzym, dass dies Entwicklung dieser spezifischen Schutz-Sequenzen auslöst? Weihnachten 1984 gelang Greider der entscheidende Durchbruch: In einem Zellextrakt entdeckte sie Anzeichen für enzymatische Aktivität und isolierte das entsprechende Molekül.
Die „Telomerase“, so der neue Name des Enzyms, bestand aus Proteinen und einer RNA-Sequenz, die auch die typische Abfolge CCCCAA enthielt. Diese dient als Schablone bei der Konstruktion des Telomers, während die Proteine die eigentlichen aktiven Werkzeuge für den Zusammenbau sind.
Telomere, Altern und Krebs
Alle drei Forscher gaben sich mit ihren bisherigen Erkenntnissen jedoch nicht zufrieden. Sie untersuchten als nächstes, was passiert, wenn die Telomere nicht mehr richtig funktionieren. Wenn sie beispielsweise durch künstliche Mutationen dazu gebracht werden, bei jeder Zellteilung extrem viel kürzer zu werden. Sowohl bei Szostaks Hefen als auch bei Blackburns Wimperntierchen zeigte sich, dass die so manipulierten Zellen sich immer langsamer teilten, schneller alterten und letztlich starben. Greider belegte später, dass die Telomerase diese vorzeitige Zellalterung beim Menschen verhindert. Das Zusammenspiel von Telomeren und Telomerase spielt daher die entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Zellfunktionen und schützt das Erbgut vor Degradierung.
Diese Erkenntnisse haben auch eine Auswirkung auf die Erforschung von Krebs und anderen Krankheiten. Denn im Gegensatz zu normalen Körperzellen, die sich eher seltener teilen, sind Tumorzellen durch ständiges Wachstum und Zellteilungen gekennzeichnet. Sie benötigen daher eine extrem hohe Telomeraseaktivität, um dabei nicht allmählich Teile ihres Erbguts zu verlieren. Wie aber schaffen sie dies? Ausgehend von den durch Blackburn, Szostak und Greider entdeckten Grundmechanismen arbeiten zur Zeit gleich mehrere Forschungsgruppen weltweit an Ansätzen, wie sich durch Blockade der Telomerase das Tumorwachstum beeinflussen lässt. Inzwischen auch einige Erbkrankheiten bekannt, die auf Fehlfunktionen der Telomerase beruhen.
Nach Ansicht des Nobelpreiskomitees haben Blackburn, Greider und Szostak eine neue Dimension zu unserem Verständnis der Zelle und ihrer Prozesse hinzugefügt. Sie haben nicht nur ein neues Licht auf grundlegende zelluläre Mechanismen geworfen sondern auch Ursachen von Krankheiten und neue Ansätze für die Krebsbekämpfung ermöglicht.
(Nobel Komitee, 05.10.2009 – NPO)