Forscher der Universität Bielefeld haben erstmals die Verteilung der Muskelzellen bei der Entwicklung des Herzens sichtbar gemacht. Mithilfe eines Erbfaktors aus einer Meeresqualle der in Mäuse eingepflanzt wurde, konnten sie zeigen, wie sich der Herzmuskel aus Vorläuferzellen entwickelt.
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Wie andere Gewebe geht der Herzmuskel des Embryos aus so genannten Stammzellen hervor, die durch Teilung Herzmuskelzellen produzieren, die zum Wachstum des Herzens beitragen. Bei der späteren Entwicklung wird das Wachstum des Herzmuskels nicht mehr durch Zellvermehrung, sondern durch Größenzunahme der vorhandenen Muskelzellen bewirkt. Alle Zellen unseres Körpers stammen von einer einzigen Zelle, der befruchteten Eizelle ab – sie bilden einen Klon.
Herzmuskel leistet „Kinderarbeit“
Bei der Embryonalentwicklung tritt eine Aufgabenteilung ein: Gruppen von Vorläuferzellen übernehmen die Bildung verschiedener Organe, Gewebe oder Zelltypen. Die Vorläuferzellen teilen sich und werden zu Mutterzellen von Subklonen, also Zellpopulationen, die innerhalb des Körpers wiederum von einer Mutterzelle abstammen. Ein erwachsener Mensch besteht aus etwa zehn Billionen Zellen, die wohlgeordnet die verschiedenen Organe und Gewebe aufbauen, zum Beispiel das Gehirn, die Leber, den Herzmuskel mit zehn Milliarden Muskelzellen. Die Besonderheit des Herzmuskels ist, dass er „Kinderarbeit“ leistet, er muss schon während seiner eigenen Entwicklung das Blut durch den Körper des Embryos treiben.
Im Zeitalter der Stammzellforschung interessieren sich Entwicklungsbiologen in Biologie und Medizin für folgende Fragen: Wie viele Vorläuferzellen gründen ein bestimmtes Gewebe? Bleiben die Zellen nach ihrer klonalen Herkunft zusammen oder bewegen und vermischen sie sich (wie das für die Zellen des Gehirns bekannt ist)? Wird das bereits entwickelte Organ durch Zuwanderung von Stammzellen aus dem Blutstrom ergänzt?
Mäuse mit Fremdgen
Diese Fragen, die für medizinische Aspekte wie Herzmissbildungen und Regeneration von beschädigtem Herzmuskel wichtig sind, haben die Bielefelder Biologen Daniel Eberhard und Harald Jockusch von der Arbeitsgruppe Entwicklungsbiologie und Molekulare Pathologie am biomedizinischen Modellorganismus in Angriff genommen. Um Zellverteilungen zu untersuchen, waren zwei experimentelle Tricks notwendig: Zum einen eine vererbbare Kennzeichnung von Zellen; sie bestand in der Verwendung eines Mausstamms, dem ein Fremdgen für das grün fluoreszierende Eiweiß („Grün fluoreszierendes Protein“, GFP) einer Meeresqualle eingepflanzt war. Diese Mäuse entwickeln, verhalten und vermehren sich normal, viele ihrer Gewebe leuchten aber grün, wenn man sie mit ultraviolettem Licht anstrahlt. Diesen Mausstamm hat der japanische Forscher Okabe zur Verfügung gestellt. Der zweite Trick bestand darin, ganz frühe Entwicklungsstadien zweier Individuen – eines „grünen“ und eines „nichtgrünen“ zu einem Individuum zu verschmelzen und sich in einer Ammenmutter-Maus entwickeln zu lassen.
Das Resultat sind so genannte Chimären, Individuen, die aus zwei befruchteten Eizellen hervorgegangen sind und damit vier Eltern haben. Solche Chimären werden seit vierzig Jahren in der biomedizinischen Forschung verwendet – sie entwickeln sich zur normalen Größe und sind uneingeschränkt lebensfähig. Die Zellmarkierung „grün“ versus „nicht- grün“ hat nun Entwicklungsvorgänge sichtbar gemacht, die sonst verborgen geblieben wären: Sie hat zur Abschätzung geführt, dass der Herzmuskel aus 100 bis 200 Vorläuferzellen entsteht, also aus dieser Anzahl von Herzmuskel-Klonen gebildet wird.
Leben in der Diaspora
Weiterhin fanden Daniel Eberhard und Harald Jockusch, dass die klonal verwandten Herzmuskelzellen sich bei der Herzentwicklung nicht so durchmischen wie zum Beispiel die Zellen des Gehirns, sondern gemäß ihrer Zellabstammung zusammen bleiben. Wie die Bielefelder Wissenschaftler festgestellt haben, „erzeugt die Vergrößerung der Klone durch Zellvermehrung dabei wirbelförmige Muster, die den Kraftlinien des arbeitenden Herzens folgen. Allerdings gibt es Durchmischung in den Randzonen der Klone, entweder dadurch, dass sich der ständig arbeitende Herzmuskel selbst durchknetet und dadurch Zellen aus ihrem ursprünglichen klonalen Verband heraus quetscht oder durch die aktive Wanderschaft einzelner Herzmuskelzellen. Manche Einzelzellen entfernen sich tatsächlich beträchtlich von ihren Schwestern und leben dann in der ‚Diaspora‘, umgeben von Zellen unverwandten Ursprungs.“
Die Bielefelder Forscher erinnern daran, dass vor etwas über zwei Jahren eine aufregende Nachricht durch Wissenschaftskreise und Presse ging: Eine amerikanische Arbeitsgruppe hatte einen verstorbenen Herzpatienten untersucht, dem man einige Jahre vor seinem Tod das Herz einer Frau eingepflanzt hatte. Dieser Patient war also – biologisch gesehen – eine Chimäre, sogar eine Geschlechts-Chimäre, was allerdings für die Funktion des Herzens ohne Belang ist. Wichtig war dies jedoch für die posthume Untersuchung: Die Zellen des Patienten waren nämlich „markiert“: sie enthielten im Zellkern das nur beim Mann vorkommende Y-Chromosom; dieses fehlte aber im eingepflanzten weiblichen Herz.
Mit einer etwas umständlichen Methode, der DNA-in-situ-Hybridisierung, ließ sich in Gewebeschnitten für jede einzelne Zelle nachweisen, ob sie ein Y-Chromosom enthält oder nicht. Auf diese Weise wurden im transplantierten Frauenherz männliche Herzmuskelzellen gefunden. Es sah so aus als seien herzmuskelbildende Stammzellen aus dem Blut des Empfängers in das Spenderherz eingewandert – ein sensationeller Befund. Die Aufregung war verständlich, denn weltweit versuchen Forschergruppen, geschädigte Herzen von Versuchstieren durch Injektion von Stammzellen (natürlich wieder nach GFP-Markierung!) zu reparieren.
Mobiler Reparaturservice für den Herzmuskel?
In den folgenden Monaten wurde allerdings im Falle des chimärischen Patienten von anderen Arbeitsgruppen angezweifelt, dass die männlichen Einwanderer im weiblichen Herz wirklich arbeitsfähige Herzmuskelzellen seien – vielleicht waren es nur Glattmuskelzellen von Blutgefäßen, die vom Empfänger in das transplantierte Herz eingesprosst waren. Aber die Frage ist geblieben: Gibt es so etwas wie einen mobilen Reparaturservice für den Herzmuskel in Form von Stammzellen, die durch den Blutstrom in das Herz getragen werden, sich dort festsetzen und sich in kontrahierende Herzmuskelzellen umwandeln?
Auch hier haben die Bielefelder Maus-Chimären eine Antwort gegeben: Im gesunden Herzen der Maus gibt es solche Einwanderer offenbar nicht. In großen, von GFP- freien Klonen abstammenden Herzmuskelbereichen hätte man sonst versprengte, möglicherweise um die Blutgefäße angereicherte, einzelne grün fluoreszierende Muskelzellen finden müssen. Dem Nachweis im Fluoreszenzmikroskop entgehen nämlich auch einzelne Muskelzellen nicht, obwohl sie nur ein Hundertstel Millimeter groß sind. Vereinzelte grüne Zellen wurden aber nur in der Nachbarschaft größerer grüner Zellgruppen gefunden, aus denen sie offenbar ausgewandert sind.
(idw – Universität Bielefeld, 17.01.2005 – DLO)