Kopf ab: Einigen Meeressauriern wurde ihr langer Hals offenbar zum Verhängnis. Denn urzeitliche Prädatoren bissen den Hals dieser „Giraffenhalssaurier“ einfach in der Mitte durch und köpften ihre Beute somit. Belege dafür liefern nun die gut 240 Millionen Jahre alten Fossilien zweier langhalsiger Meeressaurier, von denen nur der Kopf und die ersten Halswirbel erhalten sind. Zahnabdrücke und markante Bruchkanten enthüllen, dass die Köpfe dieser Meeresreptilien einst gewaltvoll vom Rest des Körpers abgetrennt wurden.
Im Zeitalter der Dinosaurier wimmelte es in den Ozeanen von Meeressauriern wie den delfinartigen Ichthyosauriern, den räuberischen Mosasauriern oder den langhalsigen Plesiosauriern. Einen besonders langen Hals aus 13 Wirbeln und strebenartigen Rippen besaß dabei die Gattung Tanystropheus, die im Zeitalter der Trias im heutigen Europa und Nordamerika lebte. Der lange, versteifte Hals dieser „Giraffenhalssaurier“ half ihnen vermutlich beim Beutefang, könnte sie aber auch selbst zur leichten Beute für Prädatoren gemacht haben.
Übersehenes Beweismaterial
Seit über 200 Jahren vermuten Paläontologen, dass die langen Hälse von Tanystropheus und ähnlichen Arten ein idealer Angriffspunkt für mögliche Räuber waren. Bislang mangelte es allerdings an fossilen Belegen für diese Hypothese. Dabei war das Beweismaterial eigentlich schon längst verfügbar und bislang einfach nur noch nicht ausführlich untersucht worden: Die Rede ist von zwei Tanystropheus-Fossilien aus dem schweizerischen Monte San Giorgio, die jeweils aus einem Kopf und einem abrupt endenden Hals bestehen.
Ein Fossil gehört zur anderthalb Meter langen Art Tanystropheus longobardicus, die sich wahrscheinlich von weichschaligen Tieren wie Garnelen ernährte. Das zweite Fossil stammt vom sechs Meter langen Tanystropheus hydroides, der urzeitliche Fische und Tintenfische fraß. Beide Vertreter der Giraffenhalssaurier lebten vor rund 240 Millionen Jahren. Stephan Spiekman und Eudald Mujal vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart haben die beiden Fossilien nun erstmals im Detail untersucht.
Zwei Bisse brachten den Tod
Das Ergebnis: Die Hälse beider Saurier waren am siebten beziehungsweise zehnten Halswirbel durchtrennt worden, also jeweils in der Mitte des Halses, wie die Paläontologen berichten. Die Wirbel an der Trennungsstelle sind in beiden Fällen schräg und spiralförmig gebrochen und weisen glatte Bruchkanten auf. Zusammen mit markanten Zahnabdrücken auf den Knochen deuten diese Beweise laut Spiekman und Mujal daraufhin, dass Kopf und Hals dieser Tiere gewaltsam abgetrennt wurden – ein Meeresräuber muss sie enthauptet haben.
„Interessanterweise spielte sich bei beiden Exemplaren dasselbe Szenario ab“, sagt Spiekman. Demnach wurden beide Giraffenhalssaurier von einem Räuber angegriffen, der sich ihnen von oben und von hinten genähert hatte. „Aus diesem Annäherungswinkel wurde der Hals mindestens zweimal kurz hintereinander gebissen, wobei der letzte Biss den Hals durchtrennte“, erklären die Paläontologen.
Prädator verschmähte den Kopf
Der abgebissene Kopf und Hals blieben in beiden Fällen weitgehend unversehrt, wie ihr guter Erhaltungszustand und der noch vorhandene Zusammenhalt der Knochen nahelegen. „Die Knochen müssen demnach noch von Weichgewebe wie Muskeln und Haut bedeckt gewesen sein“, erklärt Mujal. Der Prädator kann Kopf und Hals dieser Meeressaurier also nicht gefressen oder angeknabbert haben. „Es würde Sinn machen, dass die Raubtiere weniger an dem dünnen Hals und dem kleinen Kopf interessiert waren und sich stattdessen auf die viel fleischigeren Teile des Körpers konzentrierten“, so Mujal.
Aber wer war der Täter? Laut den Paläontologen kommen bei Tanystropheus hydroides angesichts seiner beträchtlichen Größe nur drei Räuber als Angreifer in Frage: Nothosaurus giganteus, Cymbospondylus buchseri und Helveticosaurus zollingeri. Diese drei räuberischen Meeressaurier waren mehrere Meter lang und lebten damals ebenfalls in der Gegend. Beim kleineren Tanystropheus longobardicus hingegen könnten ein mittelgroßes Meeresreptil mit spitzem Gebiss oder ein Raubfisch als „Enthaupter“ fungiert haben, erklären Spiekman und Mujal.
Ein Unfall der Evolution?
Doch warum trugen Tanystropheus und Co. überhaupt derart lange Hälse, wenn sie dadurch so anfällig für einen Angriff waren? Wahrscheinlich überwogen die Vorteile eines langen Halses – zum Beispiel bei der Nahrungssuche – schlichtweg dessen Nachteile, erklären die Paläontologen. Dafür spricht auch, dass lange Hälse über 175 Millionen Jahre hinweg bei vielen verschiedenen Meeresreptilien zu finden waren – offenbar war dies eine erfolgreiche evolutionäre Strategie.
Auch die Giraffenhalssaurier der Gattung Tanystropheus existierten mindestens zehn Millionen Jahre lang und waren in den Weltmeeren weit verbreitet. „Im weitesten Sinne zeigt unsere Forschung einmal mehr, dass die Evolution ein Spiel mit Kompromissen ist“, so Spiekman. (Current Biology, 2023; doi: 10.1016/j.cub.2023.04.027)
Quelle: Cell Press, Current Biology