Grazil statt stämmig: Der riesige Urzeithai Megalodon ähnelte wahrscheinlich doch keinem gigantischen Weißen Hai, wie Paläontologen nun herausgefunden haben. Demnach war der Megalodon nicht so stämmig und gedrungen wie häufig dargestellt, sondern deutlich schlanker und graziler – ähnlich wie ein überdimensionierter Makohai. Dieses korrigierte Aussehen könnte auch einige Annahmen zum Lebensstil des Urzeitriesen verändern, wie die Forschenden berichten.
Mit einer Länge von 15 bis 20 Metern, Zähnen so groß wie menschliche Hände und einem Maul mit der Kraft einer Schrottpresse war der Otodus megalodon, kurz Megalodon, der größte Hai aller Zeiten. Wie genau er jedoch aussah, als er vor 15 bis 3,6 Millionen Jahren durch die Weltmeere schwamm, ist weitestgehend spekulativ. Denn bislang wurden von dem Urzeitriesen zwar Zähne, Wirbel und Hautschuppen, aber noch kein vollständiges Skelett gefunden.
Aufgrund verschiedener Ähnlichkeiten mit dem modernen Weißen Hai nahm man allerdings an, der Megalodon könnte eine überdimensionierte Version dieses gedrungenen, stämmigen Räubers gewesen sein. Doch wie zutreffend ist diese Vorstellung?
Neun oder 16 Meter?
Um herauszufinden, ob der Megalodon tatsächlich ein Weißer Hai im XXL-Format war, haben Paläontologen um Phillip Sternes von der University of California in Riverside nun zwei verschiedene Studien miteinander verglichen, die ein und dasselbe Megalodon-Exemplar mit unterschiedlichen Methoden vermessen haben. Beide Studien hatten eine unvollständig erhaltene Megalodon-Wirbelreihe als Grundlage.
Die erste Studie stammt aus dem Jahr 1996 und nutzte zur Längenbestimmung eine anatomische Gesetzmäßigkeit beim Weißen Hai, der zufolge der Durchmesser des größten Wirbelkörpers die Gesamtlänge eines Tieres verrät. Indem das Team diese Gesetzmäßigkeit auf den untersuchten Megalodon übertrug, kam es auf eine Gesamtlänge von 9,20 Metern.
Die zweite Studie entstand rund 25 Jahre später. In ihr untersuchte ein anderes Forschungsteam dieselben bruchstückhaften Megalodon-Überreste erneut – und zwar in Form einer reinen Längenmessung, mit der sich dann die Gesamtlänge rekonstruieren ließ. Das Ergebnis: Allein die Wirbelsäule war bereits elf Meter lang, das komplette Tier sogar 16 Meter.
Makohai ist besseres Vorbild als Weißer Hai
„Es war ein ‚Heureka-Moment‘, als unser Forschungsteam die Diskrepanz zwischen den beiden zuvor veröffentlichten Längen für dasselbe Megalodon-Exemplar erkannte“, berichtet Seniorautor Kenshu Shimada von der DePaul University. Da die neuere Studie auf tatsächlichen Messungen und keinen übers Eck gedachten Modellrechnungen beruht, räumen Sternes und sein Team ihr die höhere Genauigkeit ein.
Dass die Hochrechnung auf Basis der anatomischen Eigenschaften des Weißen Hais derart weit daneben lag, könnte wiederum bedeuten, dass der Weiße Hai doch nicht das geeignete Modell ist, für das man ihn so lange gehalten hat. „Ein besseres Modell könnte daher der moderne Makohai sein“, schlägt Sternes vor. Makohaie gehören zwar zur selben Familie wie Weiße Haie, sind aber deutlich schlanker, länglicher und graziler gebaut. Auch auf den Megalodon könnte diese Statur zugetroffen haben, wie die Forschenden erklären.
Der Megalodon wäre somit keineswegs der stämmige, gedrungene Weiße Hai im XXL-Format gewesen, sondern ein verhältnismäßig schmaler Räuber, der womöglich sogar noch länger war als derzeit angenommen.
Megalodon jagte seltener
Diese korrigierte Statur des Megalodon könnte auch mehrere bisherige Annahmen über seine Lebensweise verändern. So würde ein schlanker und länglicher Körper zum Beispiel nahelegen, dass der Megalodon auch einen längeren Verdauungstrakt hatte, was wiederum zu einer besseren Nährstoffaufnahme geführt hätte, erklären Sternes und seine Kollegen.
„Durch die bessere Verdauung der Nahrung hätte er seltener jagen müssen. Das bedeutet weniger Raubdruck auf andere Meerestiere“, so Sternes. „Wenn ich nur ab und zu einen Wal fressen muss, bleiben die Walpopulationen im Laufe der Zeit stabiler.“
Weißer Hai besiegelte Aussterben
Dieser Umstand wirft wiederum neues Licht auf das Verschwinden des Megalodon. Denn einige Haiforscher gehen davon aus, dass der Urzeitriese vor 3,6 Millionen Jahren ausgestorben ist, weil ihm die Beutetiere ausgegangen sind. Doch wenn er auf deren Populationen einen geringeren Druck als gedacht ausgeübt hat, kann diese Theorie allein den Rückgang des urzeitlichen Riesenhais nicht erklären.
Sternes und seine Kollegen gehen stattdessen davon aus, dass der Megalodon irgendwann von einem erfolgreicheren Konkurrenten verdrängt wurde: dem modernen Weißen Hai. „Dieser Wettbewerb um Nahrung könnte ein wichtiger Faktor für seinen Untergang gewesen sein“, so Sternes. (Palaeontologia Electronica, 2024; doi: 10.26879/1345)
Quelle: DePaul University, University of California – Riverside, Universität Wien