Neuronaler Taktgeber: Wissenschaftler haben Neuronen entdeckt, die als „Metronom“ unseres Gehirns fungieren könnten. Diese Taktgeber scheinen neuronale Prozesse in Einklang zu bringen und so die koordinierte Verarbeitung von Sinnesreizen zu ermöglichen. Bei Mäusen verbessert die gleichmäßige Aktivität der Metronom-Zellen die Wahrnehmung von Berührungsreizen, wie das Team berichtet. Weitere Studien müssen nun zeigen, ob es ähnliche Taktgeber auch im menschlichen Gehirn gibt.
Unser Gehirn ist sekündlich zahlreichen unterschiedlichen Reizen ausgesetzt. Wie schafft es das Denkorgan, all diese Signale koordiniert zu verarbeiten? Neurowissenschaftler vermuten schon länger, dass dies durch eine Art Metronom gelingt – einen Taktgeber oder Synchronisator, der neuronale Signale aus unterschiedlichen Bereichen des Gehirns in Einklang bringt und so unter anderem die Verarbeitung sensorischer Reize koordiniert.
„Die Aktivität der unterschiedlichen beteiligten Hirnzellen ergibt erst dadurch ein schlüssiges Wahrnehmungsbild, eine Einheit“, erklären Hyeyoung Shin von der Brown University in Providence und ihr Kollege Christopher Moore. Eine Frage ist bislang allerdings offen: Wie sieht dieses neuronale Metronom eigentlich aus?
Gammawellen im Fokus
Einige Forscher glauben den Taktgeber des Gehirns in Form der sogenannten Gammawellen gefunden zu haben – Hirnströmen, die im Frequenzbereich von 30 bis 55 Hertz schwingen. Gegen diese These spricht allerdings die Beobachtung, dass sich die Gammawellen als Reaktion auf sensorische Reize verändern. Ein Taktgeber sollte dagegen unabhängig von solchen Faktoren immer gleichmäßig „ticken“.
Um mehr über den Einfluss sensorischer Reize auf die neuronale Aktivität im Bereich der Gammawellen herauszufinden, haben Shin und Moore nun Untersuchungen mit Mäusen durchgeführt. Im Experiment bewegten sie ganz leicht die Tasthaare der Nager und beobachteten, was dabei in der für die Registrierung solcher Berührungen und Bewegungen zuständigen Hirnregion passierte. Was veränderte sich im Gehirn abhängig davon, ob die Nager die Berührungen noch wahrnehmen konnten oder nicht?
Ein neuer Neuronentyp
Im Unterschied zu früheren Studien leiteten die beiden Wissenschaftler dabei nicht nur die durchschnittliche Aktivität aller Neuronen in dieser Hirnregion ab. Sie schauten sich mittels implantierter Elektroden auch einzelne Hirnzellen an und konnten so Auffälligkeiten entdecken, die sonst leicht übersehen werden.
Die Auswertungen offenbarten: Einige der von den Forschern beobachteten Neuronen veränderten ihre Aktivität wie erwartet als Reaktion auf die über die Tasthaare vermittelten Reize. Doch Shin und Moore entdeckten auch einen Subtyp von Hirnzellen, der nicht auf diese sensorischen Signale zu reagieren schien.
Gleichmäßig und synchron
Stattdessen feuerte diese Unterart der sogenannten „fast spiking interneurons“ (FSs) kontinuierlich und gleichmäßig in dem für Gammawellen typischen Intervall – egal, welche Reize gerade von den Tasthaaren ins Gehirn gelangten. Interessanterweise war die Aktivität aller Neuronen dieses Subtyps auch noch auffällig synchron. Könnte es sich hierbei um die lange gesuchten Metronom-Neuronen handeln?
Weitere Untersuchungen ergaben, dass dieser neu entdeckte Zelltyp für die Wahrnehmung der Mäuse offenbar tatsächlich eine wichtige Rolle spielt. Je gleichmäßiger die Neuronen „tickten“, desto besser konnten die Nager selbst subtile Berührungen wahrnehmen. Indem sie im Gehirn den Takt vorgeben, scheinen die Metronom-Neuronen die sensorische Wahrnehmung der Tiere zu verbessern, wie die Wissenschaftler berichten.
Rolle für optimale Kommunikation
Weitere Studien sollen nun zeigen, ob solche Taktgeber auch in anderen Hirnbereichen vorkommen – und ob auch Menschen diesen speziellen Neuronen-Subtyp besitzen. Bestätigt sich die Vermutung, dass die neu entdeckten Hirnzellen von Bedeutung für die optimale Kommunikation innerhalb des Gehirns sind, könnten sich dadurch auch neue Erkenntnisse zu einer Reihe von Krankheitsbildern ergeben.
Den Forschern zufolge wurden Hirnzellen aus der Gruppe der „fast spiking interneurons“ bereits mit Störungen wie Autismus, Schizophrenie und ADHS in Verbindung gebracht. Ihrer Ansicht nach ist es daher durchaus denkbar, dass auch Veränderungen der Metronom-Neuronen in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen könnten. Zunächst einmal sei aber mehr Forschung nötig, um die Funktionsweise dieses neuen Hirnzellen-Subtyps besser zu verstehen. (Neuron, 2019; doi: 10.1016/j.neuron.2019.06.014)
Quelle: Brown University