Vor 1,2 Milliarden Jahren fraß ein tierischer Einzeller eine Blaualge, verdaute sie aber nicht. Die Folge: Zum ersten Mal entstand so ein Einzeller, der Photosynthese betreiben konnte. Das war die Initialzündung für die Entstehung aller Pflanzen – und eines lebenden Fossils namens „Cyanophora paradoxa“. Sein Genom hat ein internationales Forscherteam jetzt entschlüsselt. Wie sie in „Science“ berichten, legt dies die Grundlage für ein besseres Verständnis von pflanzlichen Mechanismen wie Lichtsammlung und Proteintransport.
„Erstaunlicherweise ist es in der Erdgeschichte wirklich nur einmal passiert, dass ein tierischer Einzeller ein Cyanobakterium aufgenommen und als Plastiden, also als photosynthetische Zellorganelle, etabliert hat“, sagt Jürgen Steiner, Molekularbiologe der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU). „Umso interessanter ist für uns, die genetische Ausstattung des dabei entstandenen Organismus zu betrachten.“ Die Plastiden dieses lebenden Fossils verfügen über eine rudimentäre bakterielle Zellwand, ein klares Relikt des damals aufgenommenen Cyanobakteriums.
28.000 Proteingene im Kerngenom
„Wir haben im Kerngenom rund 28.000 Proteingene gefunden und konnten darauf aufbauend Proteinstammbäume darstellen“, so Steiner. Wichtig sei dies vor allem für das Verständnis des Transports von Proteinen, deren Gensequenzen im Laufe der Evolution in den Zellkern verlagert wurden und nun nach ihrer Synthese im Zellplasma zurück in den Plastiden gelangen müssen. „Das klingt simpel, ist aber ein hochkomplexer Prozess. In unserem Fossil können wir ihn in seiner ursprünglichen Form betrachten. Wir haben sozusagen den ersten Otto-Motor vor uns.“
Der Einblick in die frühe Entwicklungsgeschichte kann laut Steiner zum Verständnis aller möglichen Pflanzenmechanismen beitragen. „Gerade in Bezug auf die Lichtsammelkomplexe der Pflanzen erhoffen wir uns neue Erkenntnisse.“ Dabei handelt es sich um eine Ansammlung von Proteinkomplexen, welche die Energie für die Photosynthese bündeln – für den Molekularbiologen ein besonders spannendes Forschungsfeld. Im Biologicum auf dem halleschen Weinberg Campus laufen dazu Laboruntersuchungen. (Science, 2012; doi: 10.1126/science.1213561)
(Universität Halle-Wittenberg, 17.02.2012 – NPO)