Während die Genetik versucht, Lebensvorgänge über die Beeinflussung der Gene selbst zu entschlüsseln, verfolgt die Chemische Genetik dieses Ziel mit Hilfe chemischer Substanzen, die die Funktion der Genprodukte wie Proteine modulieren. In dem neuen „Zentrum für Chemische Genomik“ in Dortmund, an dem insgesamt sechs Max-Planck-Institute beteiligt sind und wofür die Max-Planck-Gesellschaft insgesamt fünf Millionen Euro zur Verfügung stellt, sollen deshalb Chemiker, Biochemiker und Biologen gemeinsam niedermolekulare Verbindungen („small molecules“) entwickeln, die es als Liganden für Proteine ermöglichen, grundlegende Lebensprozesse zu untersuchen und die Funktion der daran beteiligten Proteine aufzuklären.
Die Substanzen werden auf Grundlage von Naturstoffen oder durch Kombinatorische Chemie erzeugt und ihre biologische Relevanz anschließend in Screening-Verfahren bei Pflanzen, Säugetieren und Mikroorganismen getestet. Auf diese Weise will man Moleküle identifizieren, die in der Lage sind, krankheitsrelevante Proteine in ihrer Funktion zu beeinflussen oder die sich bei Mikroorganismen und Pflanzen als Kandidaten für neue Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel eignen.
Im vergangenen Jahrzehnt wurde zunehmend deutlich, dass alle biologischen Vorgänge im Grunde auf chemischen Prozessen beruhen und durch die Struktur der beteiligten Moleküle und ihre Wechselwirkungen bestimmt werden. Biologische Vorgänge können also auf chemische reduziert und im molekularen Detail untersucht und verstanden werden. Doch heute kennt man erst bei etwa 500 von über 100.000 Proteinen, die vom menschlichen Genom kodiert werden, eine chemische Verbindung, die mit diesem Protein interagiert und dessen Funktion beeinflusst. Deshalb konzentriert sich die Forschung – nach der Sequenzierung des Genoms von Mensch, Maus, Ratte und vielen anderen Modellorganismen – mehr und mehr darauf, die Funktion der Proteine und ihre Wechselwirkung mit niedermolekularen Substanzen (Modulatoren) aufzuklären. Ein neuer Ansatz dafür ist die Chemische Genomik.
Was ist Chemische Genomik?
Die Chemische Genomik bedient sich wirkstoffartiger Moleküle als modulierender Liganden für zellbiologische Untersuchungen, um z. B. die Funktion bestimmter Gen-Produkte aufzuklären. Während solche Sondenmoleküle lange Zeit nur aufgrund zufälliger Entdeckungen und Beobachtungen aufgefunden wurden, erlauben Fortschritte in der Automatisierung und Parallelisierung von chemischer Synthese und biologischer Analyse die systematische Suche nach Wirkstoffmolekülen für die Untersuchung biologischer Phänomene.