Versteckte Attacken: Unter Mobbing an Schulen leiden nicht nur die Außenseiter, sondern überraschend oft auch beliebte Schüler, wie eine Studie von US-Forscher enthüllt. Beginnen sie, in der sozialen Rangordnung aufzusteigen, erhöht sich ihr Mobbing-Risiko sogar um 25 Prozent. Das Fatale daran: Diese Jugendlichen reagieren deutlich sensibler schon auf eine Attacke, wie die Forscher feststellten. Und: Sie fallen oft durch das Raster der Anti-Mobbing-Programme.
Mobbing an Schulen gehört heute fast schon zum Alltag. Gängigen Vorstellungen nach werden vor allem diejenigen attackiert, die Außenseiter sind und sich nicht wehren. Oft sind Mädchen und Jungen mit Übergewicht, aus schwierigen sozialen Verhältnissen oder anderen Auffälligkeiten betroffen – Kinder, die am unteren Ende der sozialen Rangordnung stehen. „Solche sozial besonders verletzlichen Jugendlichen werden besonders häufig angegriffen, das ist ein Riesenproblem“, erklärt Studienleiter Robert Faris von der University of California in Davis.
Klischee überprüft
Ob aber wirklich nur die diesem Klischee entsprechenden Kinder betroffen sind, haben die Forscher nun erstmals genauer untersucht. Für ihre Studie werteten die Forscher die Daten einer Langzeitstudie aus, an der mehr als 4.200 Jugendliche in drei Counties von North Carolina teilnahmen. Die Kinder gingen in die achte bis zehnte Klasse von 19 verschiedenen Schulen.
Im Rahmen der Untersuchung ermittelten die Forscher den psychologischen und sozialen Kontext der Kinder, befragten sie nach ihren Erfahrungen und baten sie auch, fünf enge Freunde zu nennen, außerdem fünf Jugendliche, zu denen sie gemein waren und fünf weitere, die gemein zu ihnen waren. Aus diesen Angaben rekonstruierten die Wissenschaftler die sozialen Netze, in denen sich die Jugendlichen bewegten und ermittelten auch deren Position in der Rangordnung. Dann werteten sie aus, welche Positionen in der Hackordnung die meisten Mobbingattacken mit sich brachten.
Aufsteiger trifft es am meisten
Das Ergebnis war überraschend: „Die meisten Menschen würden nicht glauben, dass ein höherer sozialer Status das Risiko für Mobbing erhöht – aber genau das haben wir gefunden, mit nur sehr wenigen Ausnahmen“, berichtet Faris. Wenn Jungen oder Mädchen, die sich anfangs etwa in der Mitte der schulischen Rangordnung befinden, die soziale Leiter aufsteigen, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie gemobbt werden, um mehr als 25 Prozent, wie die Auswertungen ergaben.
„Unsere Studie deutet darauf hin, dass viele Mobbingopfer nicht den gängigen Stereotypen entsprechen“, so die Forscher. Stattdessen gibt es ein verstecktes Muster der Schikane, das im Wettbewerb um den sozialen Status wurzelt. Die psychischen, sozialen und akademischen Folgen für die aufstrebenden Jugendlichen sind dabei beträchtlich: Sie leiden unter Angst, Depressionen und Wut, ihre schulischen Leistungen sinken.
Konsequenzen schlimmer
„Viele dieser Konsequenzen waren bei den hochrangigeren Jugendlichen sogar schlimmer als für die klassischen Außenseiter“, erklären die Forscher. Denn die sozial isolierten Außenseiter werden zwar oft stärker gepiesackt, für die weniger an solche Angriffe gewohnten Jugendlichen weiter oben in der Hackordnung könne sich aber schon ein einziges Mobbing-Erlebnis tief eingraben.
Das könnte daran liegen, dass die beliebteren Schüler das Gefühl haben, durch solche Angriffe mehr zu verlieren – ihren Ruf, ihre Freunde und ihre Position. „Eine andere Möglichkeit ist, dass die beliebteren Jugendlichen einfach nicht darauf gefasst sind, Opfer zu werden und deshalb besonders sensibel reagieren“, so Faris.
Außer Gefahr sind die Jugendlichen offenbar erst, wenn sie es nach ganz oben geschafft haben, wie die Studie zeigte. Bei denjenigen, die zu den obersten fünf Prozent der Hierarchie gehörten, fiel das Mobbingrisiko steil ab. „Der Weg die soziale Leiter hinauf kann demnach sehr schmerzhaft sein, die oberste Sprosse aber bietet Sicherheit“, konstatiert der Forscher. Wer es hierher geschafft hat, hat kaum noch Rivalen und hat es auch selbst oft nicht mehr nötig, andere zu piesacken. Auch die Vorstellung des mobbenden Cliquen-Führers stimmt demnach nur bedingt.
Mehr Aufmerksamkeit tut not
Nach Ansicht der Forscher belegen ihre Ergebnisse, dass Mobbing nicht nur ein Problem der offensichtlichen Außenseiter und Klischee-Opfertypen ist. Stattdessen gibt es verstecktes Mobbing auch dort, wo man es bisher nicht erwartete. „Ich sage zwar nicht, dass das für alle Schulen gilt, aber es ist meiner Ansicht nach schon ein allgemeines Muster“, betont Faris. Denn dieser Trend des Mobbings auch bei beliebten Schülern zeige sich sowohl in Dörfern, wie auch in Klein- und Großstädten und in öffentlichen und privaten Schulen gleichermaßen.
Eltern, Lehrer und Sozialarbeiter sollten daher für diese Form des Mobbings stärker sensibilisiert werden, so die Forscher. Abhilfe schaffen könnten ihrer Meinung nach Maßnahmen, die die Bedeutung der sozialen Hierarchien reduzieren. (American Sociological Review, 2014, in press)
(American Sociological Association, 01.04.2014 – NPO)