Mönchsgrasmücken teilen sich innerhalb von nur 50 Jahren in unterschiedliche Populationen auf. Diese Einschränkung der Fortpflanzung, die den ersten Schritt der Artbildung darstellt, geschieht um einige Zehnerpotenzen schneller als bisher angenommen, schreiben Freiburger Forscher im Wissenschaftsmagazin „Current Biology“.
Artbildung ist der zentrale Prozess in der Evolution, der zur biologischen Vielfalt führt. Artbildung entsteht, wenn Individuen sich nicht mehr zufällig untereinander fortpflanzen, sondern die Fortpflanzung eingeschränkt ist und nur noch innerhalb von Populationen stattfindet. Dieser Prozess dauert ein bis mehrere Millionen Jahre an – normalerweise.
Deutsche Mönchsgrasmücken in England
Um 1960 fingen jedoch süddeutsche Mönchsgrasmücken an, ein neues Winterquartier in Großbritannien zu entdecken. Statt traditionell in Spanien zu überwintern, flogen die Vögel im Herbst auf die britischen Inseln. Die Zugstrecke, die die Vögel zurücklegen mussten, ist kürzer. Außerdem fanden sie gute Nahrungsbedingungen vor, da die Winterfütterung von Vögeln bei den Briten sehr verbreitet ist.
Inzwischen finden sich an jedem dritten Futterhäuschen in Großbritannien süddeutsche und österreichische Mönchsgrasmücken ein, während die englischen Mönchsgrasmücken weiterhin nach Süden ziehen. Die süddeutschen Mönchsgrasmücken kamen im Frühjahr gut genährt und vor allem früher wieder aus Großbritannien zurück als ihre Nachbarn, die nach Spanien flogen. Sie konnten daher die besseren Territorien besetzen und einen zunehmenden Anteil in der Gesamtpopulation von Mönchsgrasmücken stellen.
Morphologie und Genetik untersucht
Gregor Rolshausen, Doktorand im Team von H. Martin Schaefer von der Universität Freiburg, fing Mönchsgrasmücken nach ihrer Ankunft in den Wäldern um Freiburg und Radolfzell. Die Tiere konnten aufgrund der Isotopensignatur in dem langsam wachsenden Gewebe der Krallen ihrem jeweiligen Überwinterungsgebiet zugeordnet werden.
Rolshausen untersuchte die Morphologie und Genetik der Tiere im Labor von Gernot Segelbacher aus der Wildtierbiologie in Freiburg. Er fand heraus, dass die Mönchsgrasmücken, die in Großbritannien überwintern, sich genetisch von ihren Nachbarn, die am Mittelmeer überwintern, unterscheiden. Damit konnten die Forscher zeigen, dass sich die Populationen gegenwärtig auseinander entwickeln und sich nicht beliebig miteinander fortpflanzen, obwohl die Tiere in unmittelbarer Nachbarschaft brüten.
Rundere Flügel und engere Schnäbel
Der Schnelligkeit der Evolution von reproduktiver Isolation bei Mönchsgrasmücken ist nach Angaben der Wissenschaftler nicht nur faszinierend, sondern hat auch Folgen. Mönchsgrasmücken, die in Großbritannien überwintern, haben rundere Flügel, die ihnen mehr Wendigkeit verleihen, jedoch bei einer langen Zugstrecke ans Mittelmeergebiet hinderlich wären. Die Schnabelform und -färbung sowie die Gefiederfarben der Vögel beider Populationen unterscheiden sich ebenfalls.
Das Team um Schaefer vermutet, dass die engeren Schnäbel der in Großbritannien überwinternden Tiere eine Anpassung an die Fütterung durch den Menschen darstellen. Insofern ermöglicht die Evolution reproduktiver Isolation eine schnellere Anpassung der Tiere an die jeweiligen Bedingungen, denen sie auf ihrem Zug und in den Überwinterungsgebieten ausgesetzt sind. Die Kombination aus genetischen und morphologischen Unterschieden zeigt, dass Mönchsgrasmücken sich momentan im ersten Schritt des Artbildungsprozesses befinden, schreiben die Forscher in Current Biology.
Evolution zum Zuschauen
Die Studie, so Schaefer, ist ein gutes Beispiel für die vielfältigen evolutionären Konsequenzen, die mit Umweltveränderungen verknüpft sind. Anpassungsfähige Arten wie die Mönchsgrasmücke können anscheinend schnell Zugstrategien entwickeln und günstige Bedingungen ausnutzen. Die Evolution solcher Zugstrategien hat wiederum Auswirkungen auf die Evolution der Mönchsgrasmücke, da momentan der Genfluss zwischen Populationen mit unterschiedlicher Zugrichtung reduziert ist.
Weiterhin zeigt die Studie, dass evolutionäre Vorgänge zwar meist erst nach vielen tausenden und Millionen von Jahren sichtbar werden, aber innerhalb von wenigen Jahrzehnten ablaufen und nachweisbar sind. Das ist Evolution zum Zuschauen.
(idw – Universität Freiburg im Breisgau, 07.12.2009 – DLO)