Verräterische Pflanzenreste: Sein letzter Aufstieg ins Gebirge führte den Gletschermann Ötzi wahrscheinlich über die Schlucht am Eingang des Südtiroler Schnalstals. Darauf deuten nun bei der Mumie gefundene Moose hin. Demnach wachsen einige der im Eis konservierten Arten nur in niederen Lagen und sind typisch für das Schnalstal. Sie bestätigen damit eine der gängigen Theorien zu Ötzis letzter Reise.
Mit der Entdeckung des Gletschermannes Ötzi hat sich ein einmaliges Fenster in die Vergangenheit geöffnet. Seitdem die 5.300 Jahre alte Mumie 1991 am Tisenjoch auf 3.250 Metern Höhe gefunden wurde, haben Forscher nicht nur spannende Details über das Leben dieses Südtirolers ans Licht gebracht. Ihre Erkenntnisse liefern auch allgemeine Hinweise darauf, wie der Alltag der Menschen in der Kupferzeit aussah.
Doch auch botanische Geheimnisse lassen sich dem Mann aus dem Eis entlocken. Denn gemeinsam mit ihm haben eine Reihe von Pflanzen die Zeit überdauert. Sie wurden um, auf und sogar in Ötzi konserviert. „Vor allem für die Wissenschaft von Moosen ist der Fundort von Ötzi und natürlich die Gletschermumie selbst einzigartig“, erklärt Klaus Oeggl von der Universität Innsbruck.
75 Moose im Eis
Ötzis Fundstelle ist der einzige bekannte Ort, an dem Moose in so großer Höhe tausende von Jahre im Eis erhalten geblieben sind. Um mehr über diese Pflanzenreste zu erfahren, haben Oeggl und seine Kollegen um Erstautor James Dickson von der University of Glasgow sie nun genauer unter die Lupe genommen.
Für ihre Studie analysierten die Wissenschaftler Moose aus den Sedimenten am Tisenjoch, aber auch aus der Kleidung und dem Magen-Darm-Inhalt der Gletschermumie. Dabei stellte sich heraus: Insgesamt waren 75 unterschiedliche Moosarten, darunter zehn Lebermoose, im Eis konserviert. Dies ist auf den ersten Blick erstaunlich, denn heute gedeihen an dieser Stelle nur 21 Spezies dieser Landpflanzen.
Spezies aus dem Tal
Genauere Analysen enthüllten jedoch, dass die Moosgemeinschaft am Tisenjoch damals gar nicht so anders und auch nicht artenreicher war als heute. Den Ergebnissen zufolge scheinen nur 30 Prozent der bei Ötzi gefundenen Moose lokale Arten gewesen zu sein. Den Rest müssen der Gletschermann oder tierische Pflanzenfresser bei ihren Wanderungen durch die Berge in die Region gebracht haben.
Besonders interessant: Ein Drittel der identifizierten Moose gedeihen normalerweise in niederen Lagen – sie stammen aus dem Tal. „Diese Arten, die eigentlich am Fundort gar nicht wachsen können, sind für uns von besonderem Interesse“, sagt Oeggl. Sie ermöglichen den Forschern nämlich Rückschlüsse auf Ötzis letzte Reise. Welche Route wählte der Mann vor 5.300 Jahren bei seinem Aufstieg in die Ötztaler Alpen?
Wo brach Ötzi auf?
Diese oft diskutierte Frage scheinen die Moose nun beantworten zu können. Sie legen nach Ansicht des Wissenschaftlerteams nahe, dass Ötzi für seinen Marsch in die Ötztaler Alpen den Weg über die Schlucht am Eingang des Südtiroler Schnalstals wählte – also aus dem Süden aufbrach. Vor allem der Nachweis des Glatten Neckermooses und einer bestimmten Art der Torfmoose spricht demnach dafür.
Unterstützt wird diese Theorie durch frühere Pollenanalysen: Auch diese Pflanzenreste deuten auf das Schnalstal als wahrscheinliche Aufstiegsroute Ötzis hin, wie die Forscher berichten. (PLOS One, 2019; doi: 10.1371/journal.pone.0223752)
Quelle: Universität Innsbruck/ PLOS