Neurobiologie

MS: beschädigtes Myelin nicht der Auslöser

Forscher widerlegen gängige Hypothese zur Entstehung der Krankheit

Schäden im Myelin von Gehirn und Rückenmark führen nicht zu Multipler Sklerose (MS). Dies hat jetzt ein internationales Wissenschaftlerteam in einer neuen Studie gezeigt. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature Neuroscience“ verwerfen die Forscher damit eine gängige Hypothese zur Entstehung der Autoimmunerkrankung. Nun suchen sie die Ursache für die Entwicklung von MS vor allem im Immunsystem und nicht mehr im Zentralnervensystem.

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Millionen Erwachsene leiden an der unheilbaren Krankheit MS. Als relativ gesichert gilt, dass MS eine Autoimmunerkrankung ist, bei der körpereigene Abwehrzellen das Myelin in Gehirn und Rückenmark angreifen. Dieses Myelin umhüllt die Nervenzellen und ist wichtig für deren Funktion, Reize als elektrische Signale weiterzuleiten.

Zur Entwicklung einer MS existieren zahlreiche ungesicherte Hypothesen. Eine davon – die so genannte „neurodegenerative Hypothese“ – haben die Neuroimmunologen nun widerlegt: Sterbende Oligodendrozyten, wie die Myelin-bildenden Zellen genannt werden, lösen MS nicht aus.

Neues Mausmodell

Die neurodegenerative Hypothese stützte sich auf die Beobachtungen, dass manche Patienten charakteristische Myelinschäden ohne erkennbaren Immunangriff aufwiesen. In der gängigen Hypothese gehen die Wissenschaftler davon aus, dass die MS-auslösenden Myelinschäden ohne Beteiligung des Immunsystems entstehen. In diesem Szenario wäre die gegen das Myelin gerichtete Immunantwort das Ergebnis – und nicht die Ursache – dieses pathogenen Prozesses.

Mit ihrer Forschungsarbeit wollten die Forscher der Universität Zürich zusammen mit Kollegen aus Berlin, Leipzig, Mainz und München diese Hypothese anhand eines neuen Mausmodells bestätigen oder widerlegen. Durch genetische Tricks erzeugten sie dazu Myelindefekte ohne die Immunabwehr zu alarmieren.

Neurodegenerative Hypothese überholt

„Zu Beginn unserer Arbeit fanden wir Myelinschäden, die sehr stark den bisherigen Beobachtungen an MS-Patienten glichen“, erklärt Professor Burkhard Becher von der Universität Zürich. Und weiter: „Wir konnten jedoch nie die Entwicklung einer MS-ähnlichen Autoimmunerkrankung beobachten.“

Um herauszufinden, ob eine aktive Immunabwehr aufgrund einer Infektion zusammen mit Myelinschäden zur Erkrankung führt, haben die Forscher eine Vielzahl weiterer Experimente durchgeführt – ohne Erfolg. Dazu Ari Waisman, Professor in der Universitätsmedizin Mainz: „Es ist uns nicht gelungen, eine MS-ähnliche Erkrankung nachzuweisen, egal wie stark wir das Immunsystem auch stimuliert haben. Wir erachten die neurodegenerative Hypothese deshalb als überholt.“

Fokus aufs Immunsystem

Die an der Studie beteiligten Wissenschaftler wollen in Zukunft weiter die Ursache und Entstehung von MS erkunden. „Aufgrund dieser und weiterer neuer Erkenntnisse wird sich die Forschung an der Krankheitsentstehung der MS in Zukunft sicherlich weniger auf das Gehirn, sondern mehr auf das Immunsystem konzentrieren“, erklärt Professor Thorsten Buch von der Technischen Universität München. (Nature Neuroscience, 2012; Doi: 10.1038/nn.3062

(Universität Zürich, 28.02.2012 – DLO)

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