Ökologie

Mysteriöses Seeigelsterben aufgeklärt

Parasitäre Wimpertierchen verursachen tödliche Epidemie im Roten Meer und Mittelmeer

Sterbender Seeigel
Ein sterbender Diademseeigel: Er ist einer von Abertausenden, die gerade einer tödlichen Epidemie zum Opfer fallen. Der parasitäre Erreger hat bei diesem Exemplar bereits zahlreiche Stacheln ausfallen lassen. © Tel Aviv University

Marines Massensterben: Seit Monaten sterben im Roten Meer und im Mittelmeer Tausende Diademseeigel. An manchen Orten ist kein einziges Exemplar mehr übrig. Wissenschaftler vermuten eine tödliche Epidemie als Auslöser. Demnach könnten parasitäre Wimpertierchen für den massenhaften Tod der Seeigel verantwortlich sein. Die Lage ist ernst, denn Diademseeigel sind essenziell für den Fortbestand von Korallenriffen. Doch wie es aussieht, breitet sich die Epidemie immer weiter aus.

Seeigel gelten als sogenannte Schlüsselarten, die für das Funktionieren von Korallenriffen unerlässlich sind. Als „Gärtner des Riffs“ grasen sie Algen ab und verhindern so, dass diese die Korallen überwuchern und ihnen das Sonnenlicht streitig machen. Was ohne Seeigel mit einem Riff passiert, zeigt ein früheres Massensterben der Stachelhäuter in der Karibik. Bis 1983 waren die dortigen Korallenriffe ein blühendes tropisches Ökosystem, doch dann verschwanden die Seeigel und die Riffe wurde zu Algenfeldern.

Massensterben im Mittelmeer

Doch das Seeigelsterben ist offenbar nicht auf die Karibik begrenzt. Am 15. Juli 2022 tauchten auch vor dem Hafen der griechischen Insel Kastellorizo zum ersten Mal tote und sterbende Seeigel der Art Diadema setosum auf. Es folgten ähnliche Sichtungen vor Rhodos und der Türkei. Mittlerweile erstreckt sich das Massensterben über 1.000 Kilometer Mittelmeerküste. Doch damit nicht genug: Was auch immer die Seeigel in großen Zahlen dahinrafft, hat längst den Sprung vom Mittelmeer ins Rote Meer geschafft und sorgt nun auch in diesen Gewässern für Verwüstung.

So gibt es etwa vor der israelischen Stadt Eilat im Golf von Akaba keinen einzigen Diademseeigel mehr, wie ein Forschungsteam um Rotem Zirler von der Universität Tel Aviv berichtet. Innerhalb weniger Wochen seien Tausende von Seeigeln gestorben, binnen Monaten waren schließlich alle verschwunden. Auch andere Länder, darunter Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien, verzeichnen eine ähnlich hohe Sterblichkeit. Was passiert mit all diesen Seeigeln?

Parasitäre Wimpertierchen als Urheber

„Zunächst dachten wir, es handele sich um eine Art Verschmutzung oder Vergiftung oder um einen lokalen Chemieunfall, der von der Industrie und den Hotels im Norden des Golfs von Akaba ausging“, erklärt Omri Bronstein aus Zirlers Forschungsteam. Doch dafür hatte das Massensterben bereits zu großflächige Ausmaße angenommen. Stattdessen gehen die Wissenschaftler nun davon aus, dass die Diademseeigel von einer sich rasch ausbreitenden, tödlichen Epidemie dahingerafft werden.

Fisch und Seeigel
Für Fische sind die Seeigel-Kadaver ein gefundenes Fressen. © Tel Aviv University

Als Erreger haben sie parasitäre Wimpertierchen im Verdacht, die bereits in den 1980er Jahren und ein weiteres Mal im Jahr 2022 die gesamte Seeigelpopulation in der Karibik ausgerottet haben. Eine Infektion mit ihnen bringt den Seeigeln einen schnellen und gewaltsamen Tod: „Innerhalb von nur zwei Tagen verwandelt sich ein gesunder Seeigel in ein Skelett mit massivem Gewebeverlust. Während einige Leichen an Land gespült werden, werden die meisten Seeigel gefressen, während sie sterben und sich nicht wehren können“, berichtet Bronstein.

Die Erreger werden wahrscheinlich über das Wasser übertragen. Das hat sich laut Bronstein unter anderem daran gezeigt, dass selbst Seeigel in Aquarien der Universität starben, obwohl sie keinen Kontakt zu wildlebenden Artgenossen hatten. „Wahrscheinlich war der Erreger durch die Pumpensysteme eingedrungen“, erklärt der Meeresbiologe.

Gravierende Folgen für das Rote Meer

Die rasche Verbreitung und enorme Tödlichkeit der Parasiten lässt die Forschenden ein düsteres Zukunftsbild malen: „Wir sagen voraus, dass in kurzer Zeit die gesamte Seeigelpopulation sowohl im Mittelmeer als auch im Roten Meer erkranken und sterben wird.“ Im Roten Meer könnte das Massensterben der Diademseeigel besonders gravierende Auswirkungen haben, denn dort sind die Seeigel ursprünglich heimisch. Im Mittelmeer hingegen gelten sie als invasive Art, die vermutlich 2006 über den Suez-Kanals eingewandert ist.

Das Rote Meer erwartet nach Einschätzung der Forschenden wahrscheinlich ein ähnliches Schicksal wie einst die Karibik – zumindest, wenn sich die Epidemie weiterhin ungehindert ausbreitet. Ohne die Seeigel werden die Algen auf den Riffen unkontrolliert wachsen und schließlich die Korallen – den Lebensraum unzähliger Fische und Meerestiere – unter sich ersticken.

Zuchtpopulation als Refugium

Doch wie lassen sich die Seeigel im Roten Meer retten? „Anders als bei der Covid-19-Pandemie haben wir keine Möglichkeit, die Seeigel zu impfen oder zu behandeln, so dass wir alle Anstrengungen auf die Prävention konzentrieren müssen“, so Bronstein. „Meiner Meinung nach müssen wir dringend eine Zuchtpopulation für diese Seeigel aufbauen, damit wir sie bei Bedarf in der Zukunft wieder in die Natur zurückbringen können.“

Für diese Population kämen nach Ansicht des Forschers gesunde Individuen aus dem israelischen Mittelmeerraum in Frage. Doch die Zeit drängt, denn die tödliche Krankheit breitet sich immer weiter von Norden her aus und bedroht bald auch diese Population. (Royal Society Open Science, 2023; doi: 10.1098/rsos.230251

Quelle: Tel-Aviv University

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