Neurobiologie

Navigationshilfe für wachsende Nervenzellen

Protein sorgt für geregeltes Zellwachstum und weist den Weg zum Ziel

Protein mit großer Wirkung. Deutlich zu sehen ist, dass das geordnete Wachstum der Nervenfasern (A & C) ohne die navigierende Funktion des Proteins Gogo schnell in Chaos umschlägt (B & D). © Takashi Suzuki/ MPI für Neurobiologie

Das menschliche Gehirn enthält rund hundert Milliarden Nervenzellen, von denen jede tausendfach mit anderen Zellen verbunden ist. Woher wissen die Nervenfasern aber, wohin sie wachsen und mit wem sie einen Kontakt bilden müssen? Wissenschaftler haben jetzt ein Protein gefunden, dass den Nervenzellen im Auge der Fruchtfliege den Weg zu ihren Partnerzellen weist und gleichzeitig ungewollte Zusammenstöße verhindert.

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Ähnliche Mechanismen könnten auch am Aufbau des Wirbeltier-Nervensystems beteiligt sein, so die Forscher in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Neuron“.

Sich in einer unbekannten Großstadt ohne Navigationsgerät oder kartenlesenden Beifahrer zurechtzufinden ist hart: an jeder Kreuzung muss aufs Neue entschieden werden, wo es weitergeht; gleichzeitig müssen Unmengen an Verkehrsregeln beachtet und Zusammenstöße mit anderen Verkehrsteilnehmern vermieden werden.

Verkehrschaos im Nervensystem

In einer ganz ähnlichen Situation finden sich junge Nervenzellen, deren Fortsätze in ihrer „Großstadt“, dem Gehirn, die richtigen Partnerzellen finden müssen. In einem unüberschaubaren Zellgewirr muss auch hier an vielen Wegpunkten neu entschieden werden, in welcher Richtung das richtige Ziel liegt.

Erschwerend kommt hinzu, dass auf kleinstem Raum tausende von Zellen ihre Fortsätze (Axone) auf ihre Partnerzellen zuwachsen lassen. Ungewollte Zusammenstöße könnten daher schnell zu einem „Verkehrschaos“ führen – mit schweren Folgen: kann eine Nervenzelle ihr Ziel nicht erreichen, führt

dies meist zu Funktionsstörungen im Organismus.

Wie finden Nervenzellen den richtigen Weg? Um diese Frage zu beantworten haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie die Augenentwicklung der Fruchtfliege Drosophila genauer unter die Lupe genommen. Das Fliegenauge eignet sich ganz besonders als Forschungsobjekt: Zum einen ist es im Vergleich zum Wirbeltiersystem sehr viel einfacher aufgebaut und daher leichter zu untersuchen. Gleichzeitig ist es jedoch komplex genug, um generelle Mechanismen der neuronalen Wegfindung aufzuklären.

Golden Goal als Abstandshalter

Zum anderen kann die Fruchtfliegenforschung auf eine Vielzahl genetischer Methoden zurückgreifen, sodass zum Beispiel ganz gezielt Gene der Augenentwicklung verändert werden können, ohne dabei das übrige Nervensystem zu verändern. Diese Vorteile haben sich die Martinsrieder Wissenschaftler nun zunutze gemacht.

Durch das gezielte Ausschalten eines Gens haben sie das Protein Gogo (Golden Goal) identifiziert, das Nervenzellen während der Entwicklung des Fliegenauges nicht nur als Navigationshilfe dient, sondern auch als Abstandshalter zu anderen Nervenzellen.

Ein Komplexauge in vieler Hinsicht

Das Facetten- oder Komplexauge der Fruchtfliege besteht aus rund 800 Einzelaugen, von denen jedes acht Fotorezeptorzellen besitzt. Diese spezialisierten Nervenzellen wandeln die Lichtimpulse in elektrische Signale um, die später im Gehirn wieder ein Bild ergeben. Während der Entwicklung des Fliegenauges wächst je ein Zellfortsatz pro Rezeptorzelle auf die nächste Verschaltungsebene, die Lamina zu. Durch das parallele Wachstum der acht Zellfortsätze pro Einzelauge bildet sich ein Sehstab. Für zwei der acht Zellen ist die Reise jedoch noch nicht zu Ende: sie wachsen weiter bis zur nächsten Verschaltungsebene, der Medulla, wobei sich die Sehbahnen überkreuzen und das Facettenbild um 180° gedreht wird.

Die Neurobiologen des Max-Planck-Instituts zeigten nun, wie die Nervenzellen ihre Partnerzelle in diesem komplizierten Wachstumsschema finden können: Eingebettet in die Zellmembran sitzt an der Spitze des auswachsenden Zellfortsatzes das Protein Gogo. Kann durch eine Genveränderung dieses Protein nicht mehr gebildet werden, so stoßen die Zellfortsätze zusammen und verklumpen – der Sehstab kann sich nicht mehr ausbilden.

Auch die weiterwachsenden Zellfortsätze können ihre Partnerzellen in der Medulla ohne Gogo nicht mehr finden – sie irren am Rand der Medulla entlang, bis ihr Wachstumspotential erschöpft ist. Fazit: ohne Gogo kann sich das Fliegenauge nicht mehr richtig entwickeln.

Navigationshilfen auch in anderen Nervensystemen?

„Durch die genetischen und zellbiologischen Hinweise vermuten wir, dass Gogo ein Rezeptor-Protein ist, das über Bindungspartner zur gegenseitigen Abstoßung oder Anziehung von Zellfortsätzen führt“, erklärt Takashi Suzuki, der Leiter der Studie. Andere Bindungspartner können zur Erkennung der richtigen Partnerzelle in der Medulla führen.

Wahrscheinlich sind auch noch andere Rezeptor-Proteine und ihre Bindungspartner an der Wegfindung der Nervenzellen beteiligt; jedoch wohl nicht mehr als zehn, vermutet Suzuki. „Wenn wir die Kombination dieser Moleküle verstanden haben, werden wir hoffentlich die Entwicklung des gesamten Systems verstehen können.“ Viele der Fruchtfliegen-Gene spielen auch bei der Entwicklung des Nervensystems anderer Organismen eine Rolle. Die Erkenntnisse zur Augenentwicklung der Fruchtfliege sind daher auch zum Verständnis unseres eigenen Nervensystems wichtig.

(idw – Max-Planck-Institut für Neurobiologie, 14.03.2008 – DLO)

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