Nützliches Erbe: Jede dritte Frau in Europa trägt eine Mutation in sich, die vom Neandertaler stammt. Diese archaische Veränderung führt dazu, dass diese Frauen weniger Fehlgeburten erleiden und im Schnitt mehr Kinder gebären. Denn die Mutation sitzt im Rezeptor für das Hormon Progesteron, das eine wichtige Rolle für die Schwangerschaft spielt. Dies könnte auch erklären, warum diese Neandertaler-Genvariante heute so häufig ist.
Weil sich einige unserer Vorfahren mit Neandertalern kreuzten, tragen wir bis heute das genetische Erbe der Eiszeitmenschen in uns. Etwa zwei Prozent des Erbguts von Europäern stammt von den Neandertalern – und diese Gene erfüllen wichtige Funktionen: Sie stärken unser Immunsystem und unsere Virenabwehr, helfen beim Fettabbau und verleihen den Europäern ihre helle Haut. Sogar unser Tagesrhythmus könnte von diesen archaischen Genen mitbeeinflusst sein.
Mutation in der Bauanleitung für den Progesteron-Rezeptor
Eine weitere Funktion des genetischen Neandertaler-Erbes haben nun Forscher um Hugo Zeberg vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig entdeckt. Für ihre Studie hatten sie die Herkunft und Funktion einer Genveränderung untersucht, die in der heutigen Bevölkerung relativ häufig ist. Bei dieser Mutation sind zwei DNA-Abschnitte in der Bauanleitung für einen Rezeptor des Hormons Progesteron verändert.
Der Progesteron-Rezeptor spielt eine wichtige Rolle für die Schwangerschaft: Dockt das Hormon dort an, löst dies eine Reaktionskaskade aus, in deren Verlauf die Gebärmutter für die Einnistung und Versorgung des Embryos vorbereitet wird. Zeberg und seine Kollegen haben nun drei Neandertalergenome daraufhin überprüft, ob auch die Eiszeitmenschen schon diese Genveränderung besaßen – und ob sie zu den von den Neandertalern geerbten Mutationen gehört.
Mutation stammt vom Neandertaler
Tatsächlich fanden die Wissenschaftler diese V660L-Variante in allen drei Neandertalergenomen. Bei den modernen Menschen, die diese Mutation besitzen, liegt sie zudem inmitten eines mindestens 56.000 Basenpaare langen DNA-Abschnitts, der nachweislich von den Neandertalern in das Erbgut des Homo sapiens übernommen wurde. Weitere Analysen ergaben, dass diese Mutationen vor rund 40.000 Jahren bei unseren Vorfahren noch eher selten waren, sich dann aber im Laufe der Jahrtausende immer mehr verbreiteten.
Heute trägt fast jede dritte Frau in Europa diesen von den Neandertalern geerbten Progesteron-Rezeptor, wie ein Vergleich der Gendaten von mehr als 450.000 Menschen ergab. 29 Prozent der europäischen Frauen besitzen ein Exemplar des Neandertaler-Rezeptors und drei Prozent haben sogar zwei Exemplare. „Der Anteil der Frauen, die dieses Gen geerbt haben, ist damit etwa zehnmal so hoch wie bei den meisten anderen Neandertaler-Genvarianten“, sagt Zeberg.
Positiver Effekt auf die Fortpflanzung
Aber warum? Weshalb hat sich diese Neandertaler-Mutation so stark ausgebreitet? Um das herauszufinden, untersuchten Zeberg und sein Team, ob sich die Trägerinnen dieser V660L-Variante im Verlauf ihrer Schwangerschaften oder in ihrer Fortpflanzung von Nichtträgerinnen unterscheiden.
Es zeigte sich: Frauen mit der Neandertaler-Variante erleiden seltener Fehlgeburten und Blutungen während ihrer Schwangerschaft. Zudem kommen in Familien von Trägerinnen dieser Genvarianten mehr Kinder zur Welt. „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Neandertaler-Variante des Rezeptors günstig auf die Fruchtbarkeit auswirkt“, sagt Zeberg.
Archaische Gene nützen bis heute
Nach Ansicht der Forscher könnte dieser positive Effekt erklären, warum sich diese Neandertaler-Genvariante in unseren Vorfahren und uns nicht nur erhalten hat, sondern sich sogar noch ausbreitete. „Der Progesteronrezeptor ist ein Beispiel dafür, wie günstige genetische Varianten, die durch die Vermischung mit Neandertalern auf den modernen Menschen übertragen wurden, Auswirkungen auf heute lebende Menschen haben können“, sagt Zeberg.
Letztlich bedeutet dies, dass wir zumindest einen Teil unserer Fruchtbarkeit dem genetischen Erbe unserer eiszeitlichen Vettern zu verdanken haben. (Molecular Biology and Evolution, 2020; doi: 10.1093/molbev/msaa119)
Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie