Umwelt

Neonicotinoid schadet Zugvögeln

Forscher belegen erstmals negativen Effekt von Imidacloprid auf Wildvögel

Dachsammer
Am Beispiel wilder Dachsammern haben Forscher erstmals einen negativen Effekt von Neonicotinoiden auf das Verhalten von Zugvögeln nachgewiesen. © Wolfgang Wander/ CC-by-sa 3.0

Fatales Futter: Wenn Singvögel mit Pestiziden behandelte Samen fressen, beeinträchtigt dies ihr Zugverhalten – und schlimmstenfalls sogar ihr Überleben, wie eine Studie enthüllt. Demnach hemmt das Neonicotinoid Imidacloprid den Appetit der Vögel und verlängert ihre Rastdauer um mehrere Tage. Dadurch sind die Singvögel angreifbarer für Raubtiere, zudem kommen sie verspätet an ihrem Ziel an – und finden dann womöglich keinen Partner mehr, wie Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.

Pestizide gelten als eine der Ursachen für den dramatischen Rückgang der Insekten, aber auch der Feld- und Singvögel. Unter Verdacht stehen dabei vor allem die verbreitet eingesetzten Neonicotinoide, die an Rezeptoren im Nervensystem der Insekten binden. Trotzdem galten diese Mittel lange als ungefährlich für Bienen – was zahlreiche Studien inzwischen widerlegt haben. Drei dieser Wirkstoffe, darunter Imidacloprid, sind deshalb inzwischen in der EU für den Einsatz im Freiland verboten.

Dachsammer mit Sensor
Ein winziger Sensor mit Sender ermöglichte es den Forschern, das Verhalten der Vögel nach dem Wiederaussetzen weiter zu verfolgen. © Margaret Eng

Wie gefährlich sind Neonicotinoide für Vögel?

Für Wirbeltiere galten die Neonicotinoide dagegen als wenig giftig. Doch schon im Juni 2019 weckte ein Massensterben von Singvögeln in Kalifornien daran massive Zweifel. Denn dort starben nach der Behandlung von Straßenbäumen mit Imidacloprid Dutzende Goldzeisige. Studien an Singvögeln in Gefangenschaft deuten zudem darauf hin, dass schon geringe Dosen dieses Neonicotinoids den Appetit und die Orientierung der Vögel massiv stören können.

Doch gilt dies auch für wilde Zugvögel, wenn diese beispielsweise auf einem gespritzten Feld rasten? Normalerweise nutzen Zugvögel solche Zugpausen zum Fressen und damit zum Aufstocken ihrer Fett- und Energiereserven. „Vor allem während des Frühjahrszuges sind Vögel daher besonders starker Neonicotinoid-Belastung ausgesetzt, weil zu dieser Zeit auch viele der mit Pestiziden behandelten Saaten ausgebracht werden“, erklären Margaret Eng von der University of Saskatchewan und ihre Kollegen.

Pestizid-Dosis am Rastplatz

Welche Folgen das Fressen von kontaminiertem Saatgut für Zugvögel haben kann, haben Eng und ihr Team nun erstmals im Freiland an wilden Dachsammern (Zonotrichia leucophrys) getestet. Für ihre Studie fingen sie 36 dieser Vögel während ihres Frühlingszuges in Kanada kurzzeitig ein. Zwei Gruppen dieser Vögel erhielten 1,2 oder 3,9 Milligramm Imidacloprid pro Kilogramm Körpergewicht. „Diese Dosen liegen in dem Bereich, die ein Vogel realistischerweise aufnimmt, wenn er nur einige behandelte Samen frisst“, betonen die Forscher.

Alle Vögel wurden einige Stunden vor und nach der Pestizidgabe gewogen, erhielten dann einen winzigen Sensor und wurden wieder an ihrem „Rastplatz“ freigelassen. Über den Sensor konnten die Forscher dann verfolgen, wie sich die Vögel verhielten und wann sie ihre Migration wieder aufnahmen.

Geschrumpfte Fettreserven und verlängerte Zugpause

Das Ergebnis: Schon eine einzige Gabe von Imidacloprid zeigte bei den Zugvögeln Wirkung. Die Dachsammern beider Dosisgruppen hatten schon in den wenigen Stunden zwischen Pestizidgabe und Freilassung mehr an Körpergewicht und Fettanteil verloren als die Kontrollgruppe. Die Forscher führen dies darauf zurück, dass die behandelten Vögel in diesen sechs Stunden signifikant weniger fraßen als ihre Artgenossen.

Noch auffallender aber: Die dem Neonicotinoid ausgesetzten Zugvögel blieben deutlich länger am Rastplatz als die unbehandelte Kontrollgruppe. Während letztere schon nach einem halben Tag Pause weiterflogen, dauerte die Rastpause bei den behandelten Dachsammern je nach Dosis drei bis vier Tage. Die Forscher vermuten, dass diese Verlängerung der Zugpause mit dem Fressdefizit zusammenhängt: „Es ist wahrscheinlich, dass sie ihren Weiterflug verzögerten, weil sie mehr Zeit brauchten, um sich zu regenerieren und ihre Energievorräte aufzustocken“, sagt Eng.

Folgen für Fortpflanzung und Überleben

Auf den ersten Blick scheint eine solche kurze Verzögerung bei der Migration nicht schlimm, doch für die Vögel kann dies durchaus schwerwiegende Folgen haben. Zum einen sind sie am Boden größerer Gefahr durch Raubtiere ausgesetzt. Zum anderen aber führt die längere Pause dazu, dass die Singvögel später in ihren Brutgebieten ankommen. „Eine solche Verzögerung kann ihren Erfolg bei der Partnerwahl und dem Nestbau ernstlich beeinträchtigen“, sagt Engs Kollegin Christy Morrissey.

Nach Ansicht der Forscher könnten ihre Ergebnisse zumindest in Teilen eine Erklärung dafür liefern, warum und wie Neonicotinoide das Überleben von Singvögeln beeinträchtigen. „Diese nichttödlichen Effekte von Imidacloprid auf das Fressverhalten, den körperlichen Zustand und die Rastdauer stehen in klarem Zusammenhang mit dem Überleben und der Fortpflanzung der Vögel“, konstatieren Eng und ihr Team. „Sie können daher Populationen von Zugvögeln beeinträchtigen, die typischerweise Agrar-Habitate für ihre Regeneration nutzen.“ (Science, 2019; doi: 10.1126/science.aaw9419)

Quelle: University of Saskatchewan

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