Neurobiologie

Neue Art von Geschmackszellen entdeckt

"Multitasking"-Zellen beeinflussen Geschmackssignale der anderen Sinneszellen der Zunge

Zunge
In den Geschmacksknospen unserer Zunge gibt es einen zuvor unerkannten Zelltyp – mit überraschender Funktionsweise. © wavebreakmedia/ iStock.com

Unerkannte Helfer: Unsere Zunge könnte einen bislang unbekannten Typ von Geschmackszellen besitzen – eine Art „Breitband“-Sensor für Geschmacksreize. Denn diese Sinneszellen reagieren sowohl auf bitter, süß und umami wie auch auf Saures. Damit vereinen sie die Funktion von zwei verschiedenen Zelltypen in sich. Interessant auch: Fehlen diese Zellen, ist die Wahrnehmung aller Geschmacksreize stark gedämpft.

Unser Geschmacksinn beruht auf einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Zelltypen in unserer Zunge. Zusammen ermöglichen sie uns die Wahrnehmung der fünf Grundgeschmäcker süß, bitter, salzig, sauer und umami. Der Sauer-Sensor scheint uns darüber hinaus auch den Geschmack von Wasser zu vermitteln. Der volle Geschmackseindruck unseres Essens aber entsteht erst in Kombination dieser Geschmacksinformationen mit den Geruchsreizen aus der Nase.

Zwei Zelltypen bestimmen unser Schmecken

Gängiger Annahme nach enthalten die Geschmackspapillen unserer Zunge drei Typen von Sinneszellen. Typ-I-Zellen haben eher eine Hilfsfunktion als Stütz- und Hüllzellen, Typ-II-Zellen reagieren je nach Ausprägung auf bitter, süß oder umami. Typ-III-Zellen wiederum feuern bei sauren und salzigen Geschmacksreizen. Die Zelltypen nutzen dabei jeweils verschiedene Mechanismen, um ihre Signale zu erzeugen und weiterzuleiten.

„Bisher ging man davon aus, dass diese Geschmackszellen jeweils selektiv auf nur eine Art von Geschmacksreizen reagieren“, erklären Kathryn Medler von der University at Buffalo und ihr Team. Um dies zu überprüfen, haben sie Geschmackszellen von Mäusen isoliert und einzeln verschiedenen chemischen Geschmacksreizen ausgesetzt. Dadurch konnten sie die verschiedenen Zelltypen und ihre Reaktion identifizieren

Neuer Zelltyp ist Multitasking-fähig

Das Überraschende jedoch: Bei diesen Tests stießen die Wissenschaftler auf eine Unterart der Typ-III-Zellen, die auf zuvor unbekannte Weise reagierte. Statt bei nur einer bestimmten Geschmacksrichtung zu feuern, sprachen diese Zellen vor allem dann an, wenn mehrere verschiedene Reize präsent waren. „39 Prozent dieser Zellen reagierten neben dem Sauerreiz auf zwei Stimuli, 43 Prozent dagegen auf drei weitere – bitter, süß und umami“, berichten Medler und ihr Team.

Damit scheinen diese „broadly responsive“ (BR) getauften Zellen auf vier von fünf Geschmacksreizen anzusprechen – und das sogar gleichzeitig. Nur Salziges löste keine Reaktion aus. Nähere Analysen enthüllten, dass diese BR-Zellen in ihrer Reizreaktion sowohl den Signalweg der Typ-II-Zellen wie den der Typ-III-Zellen nutzten.

GEschmackszellen
Der neuentdeckte Geschmackszelltyp (BR, blau) inmitten der schon bekannten Geschmackszellen. © Johanna Flora and Kathryn Medler

BR-Zelle als „Geschmacksverstärker“

Interessant auch: Die neuentdeckten Zellen scheinen als eine Art multifunktionaler Reizverstärker zu fungieren. Denn als die Forscher bei Mäusen die BR-Zellen blockierten, reagierten sie kaum noch auf umami, bittere oder süße Geschmacksreize – obwohl die dafür zuständigen Geschmackszellen des Typs II völlig intakt waren. Auch in ihrem Gehirn kam nur noch ein sehr schwaches Signal dieser Reize an.

„Dies deutet darauf hin, dass auch die BR-Zellen für die Verarbeitung von umami, bitteren und süßen Reizen benötigt werden“, sagen Medler und ihr Team. Die Wahrnehmung dieser Geschmacksrichtungen funktioniert offenbar nur dann optimal, wenn sowohl die selektiven Typ-II-Zellen wie auch die breitbandigen BR-Zellen feuern.

Zusammenarbeit von Spezialisten und Generalisten

Damit scheint es in der Zunge von Mäusen und wahrscheinlich auch Menschen nicht nur hochselektive Sensoren für die einzelnen Grundgeschmäcker zu geben, sondern auch Generalisten – Zellen, die auf eine Kombination von Geschmacksreizen ansprechen. Tatsächlich vermuten Forscher schon länger, dass es solche Breitband-Sinneszellen für den Geschmack gibt. Doch erst jetzt scheint ihre Existenz mit de BR-Zellen belegt.

„Unsere Daten demonstrieren damit, dass der erste Schritt der Geschmackswahrnehmung schon die Arbeitsweise widerspiegelt, die auch in den weiteren Schritten der Geschmacksverarbeitung vorhanden ist“, erklären Medler und ihre Kollegen. Denn in der Großhirnrinde werden die Geschmacksreize ebenfalls sowohl von selektiven wie von generalistischen Zellen ausgewertet. Die Entdeckung des neuen Geschmackszelltyps wirft damit ein neues Licht auf die Funktionsweise eines unserer ältesten Sinne. (PLOS Genetics, 2020; doi: 10.1371/journal.pgen.1008925)

Quelle: PLOS

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