Im Tümpel eines Universitäts-Campus haben britische Forscher erste Vertreter einer ganz neuen Gruppe von Organismen entdeckt. Sie ähneln Pilzen ohne Zellwänden und bilden damit einen eigenen Ast „lebender Fossilien“ an der Basis des Pilzstammbaums. Inzwischen ist klar, dass diese jetzt in „Nature“ vorgestellte Gruppe der „Cryptomycota“ sogar weltweit verbreitet ist, ihre Lebensweise, Vielfalt und Rolle im Ökosystem sind aber noch völlig unbekannt.
Neben Pflanzen und Tieren bilden die Pilze die dritte große Gruppe der Organismen. Ihre Zellen besitzen zwar feste Zellwände wie die Pflanzenzellen aber Pilze führen keine Photosynthese durch, sondern gewinnen ihre Energie aus bereits existierenden organischen Verbindungen. Wegen der extrem großen Formenvielfalt der Pilze – die Spannbreite reicht vom mikroskopisch kleinen Einzeller bis zu metergroßen Hutpilzen – ist diese Organismengruppe noch immer nicht vollständig erforscht.
DNA-Analyse enttarnt unbekannte Pilzgruppe
Jetzt sind amerikanische Forscher direkt vor ihrer sprichwörtlichen Haustür auf eine ganz neue, zuvor unbekannte Gruppe der Pilze gestoßen, die einigen der bisherigen Annahmen über diese illustren Lebewesen völlig widerspricht. Die Wissenschaftler der Universität Exeter hatten nicht, wie bisher üblich, unbekannte Pilze versucht im Labor in Kulturen zu züchten und zu isolieren. Stattdessen analysierten sie Wasserproben aus einem Tümpel direkt auf dem Campus ihrer Universität und weiteren Gewässern auf verräterische DNA-Sequenzen hin.
Der Vergleich mit speziellen Markersequenzen aus einer Gendatenbank ermöglicht es, die Zugehörigkeit unbekannter DNA zu den Pilzen festzustellen. Im Falle der Tümpelproben stießen die Forscher auf eine ungewöhnliche Sequenz, die zwar pilztypisch war, in einem Aspekt jedoch eine entscheidende Abweichung zeigte: Diese Pilze schienen keine festen, durch Chitin stabilisierten Zellwände zu besitzen – ein Merkmal, dass eigentlich als grundlegend für alle Pilze gilt.
Weltweite Verbreitung trotz fehlender Zellwand
Aufmerksam geworden, analysierten die Forscher daraufhin weitere Proben aus Gewässern, Mooren und Meeresküsten ganz verschiedener Regionen der Erde, von den USA über Europa bis nach Japan. Und erstaunlicherweise fanden sich plötzlich in allen diesen Gewässern genetische Spuren der seltsamen neuen Pilzgruppe. Mit Hilfe spezieller Fluoreszenzverfahren gelang es den Wissenschaftler dann, auch die rundlichen Zellen dieser seltsamen Organismen erstmals sichtbar zu machen.
„Seit 150 Jahren werden Pilze erforscht und alle glaubten, sie hätten ein gutes Verständnis der größeren evolutionären Gruppen. Doch diese Funde haben das radikal geändert“, erklärt Tom Richards, Biologe an der Universität von Exeter und am Londoner Naturkundemuseum. „Das bisherigen Wissen über die Artenvielfalt der Pilze entpuppt sich nun als nur die Hälfte der Geschichte. Wir haben da plötzlich einen vielfältigen und tief stehenden Ast der Pilzevolution entdeckt, der die ganze Zeit verborgen war.“
„Missing-Link“ der Pilz-Evolution
Die „Cryptomycota” – versteckte Pilze – getaufte Gruppe verändert auf einen Schlag das gesamte Bild des Pilzstammbaums. Denn mit dem Fehlen der Zellwand stellt sie ein Zwischenglied der Entwicklung von den ersten eukaryotischen Zellen zu den Pilzen dar und ist damit eine Art „Lebendes Fossil“. Die Verbreitung und auch die meisten Merkmale dieser neuen Gruppe sind noch nicht bekannt, hier müssen nun weitere Studien folgen. „Es ist möglich, dass es noch viel mehr verschiedenen Formen dieses Organismus gibt, mit einer ganzen Spannbreite von Merkmalen, von denen wir noch nichts wissen“, erklärt Richards. „Noch muss viel Forschung getan werden um herauszufinden, wie sie sich ernähren, reproduzieren, wachsen und welches ihre Rolle in den natürlichen Ökosystemen ist.“
Klar scheint allerdings jetzt schon, dass die fehlende Zellwand dem Erfolg der Cryptomycota offenbar einen Abbruch tut: „Zwar stammte die ersten Probe unserer Studie aus dem Universitätstümpel, aber Cryptomycota sind in Proben aus der ganzen Welt vorhanden“, erklärt Meredith Jones, ebenfalls von der Universität von Exeter. „Die große genetische Diversität und Verbreitung dieser Gruppe lässt uns vermuten, dass sie wahrscheinlich eine wichtige Rolle in einer ganzen Reihe von Umweltprozessen spielen.“ (Nature, 2011; DOI: 10.1038/nature09984)
(University of Exeter, 12.05.2011 – NPO)