Raffinierte Regulation: Wenn sich soziale Amöben zu Schleimpilzen zusammenschließen, spielt ein gelber Naturstoff eine wichtige Rolle. Der von den Amöben in ihrem mehrzelligen Stadium produzierte Farbstoff verhindert, dass sie zu früh aus den Sporen schlüpfen, wie Forschende jetzt herausgefunden haben. Der Stoff aus der Familie der Polyketide könnte mehr über das besondere Leben der Amöben verraten und darüber, wie sich die Amöben-Stoffe auch für uns Menschen nutzen lassen.
Schleimpilze oder soziale Amöben sind Einzeller und auf der ganzen Welt verbreitet. Der bekannteste Schleimpilz ist Dictyostelium discoideum, der unter anderem auf Waldböden lebt und sich dort von Bakterien ernährt. Haben diese Amöben alle Bakterien abgeweidet und stehen kurz vor dem Verhungern, schließen sie sich zu einem mehrzelligen Organismus zusammen. Dieser reift zu einem mit Sporen gefüllten Fruchtkörper heran. Platzt der Fruchtkörper, trägt der Wind die Sporen fort und der Lebenszyklus beginnt von Neuem.
Schleimpilze und Mikroorganismen im Allgemeinen sind dafür bekannt, Naturstoffe mit besonderen Eigenschaften herzustellen. Das macht sie für menschliche Arzneiprodukte interessant. Im Falle von Dictyostelium discoideum ist es Forschern 2022 etwa gelungen, die Amöbe eine Vorstufe des Cannabis-Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) produzieren zu lassen. Es kann uns langfristig nutzen, nach weiteren von Mikroorganismen hergestellten Naturstoffen zu suchen.
Neues Pigment in mehrzelligem Stadium gefunden
Einer solchen Substanz sind Markus Günther vom Hans-Knöll-Institut in Jena und seine Kollegen nun ebenfalls bei Dictyostelium discoideum auf die Schliche gekommen. Dafür warfen sie einen genaueren Blick auf die Enzyme, die die Amöbe bei der Bildung ihres Fruchtkörpers produziert. Unter diesen wählten sie ein vielversprechendes Enzym, die Polyketidsynthase 5, für weitere Untersuchungen aus.
Die Wissenschaftler züchteten dafür eine zweite Variante des Schleimpilzes, in der die Polyketidsynthase 5 fehlte – und mit ihr das Produkt, das das Enzym unter normalen Umständen hergestellt hätte. Beim Vergleich der beiden Schleimpilzvarianten fiel den Forschenden auf, dass der Fruchtkörper der Variante ohne Enzym einen Großteil seiner gelben Farbe eingebüßt hatte. Durch eine Reihe weiterer Tests gelang es ihnen schließlich, dieses gelbe, von der Polyketidsynthase 5 hergestellte Pigment ausfindig zu machen. Das Team taufte den neuen Naturstoff aus der Familie der Polyketide Dictyoden.
Naturstoff verhindert vorzeitiges Schlüpfen
Allerdings war anfangs nur wenig über die genaue Funktion des Dictyodens bekannt. „Wir hatten zunächst keine Ahnung, was dieses Polyketid macht“, so Günther. Das Forschungsteam bemerkte allerdings, dass bei Amöben ohne Dictyoden nicht nur der Fruchtkörper blasser war, sondern auch nicht mehr so zuverlässig funktionierte. In den Fruchtkörpern befanden sich nämlich häufig zu früh geschlüpfte Amöben.
„Wir gehen davon aus, dass Dictyoden besonders wichtig ist, um frühzeitiges Schlüpfen zu unterdrücken“, erklärt Günther. Die an der Spitze der Aggregation liegenden Amöben bleiben dadurch in einem robusten Überdauerungsstadium und können so verbreitet werden. „Die Hemmung eines verfrühten Schlüpfens ist nötig, um die Verbreitung und das Überleben der sozialen Amöben sicherzustellen“, erklärt das Team. Zwar sind daran wahrscheinlich auch noch andere Substanzen als das Dictyoden beteiligt. Dennoch trägt der gelbe Naturstoff dazu bei, den Entwicklungszyklus des Schleimpilzes aufrechtzuerhalten.
Weitere unentdeckte Stoffe
Das Team will mit derselben Methode nun auf die Suche nach weiteren Naturstoffen der Amöbe Dicyostelium discoideum gehen. Der Einzeller trägt in seinem Erbgut insgesamt 40 Gene, die Bauanleitungen für Polyketidsynthasen enthalten. Und diese Enzyme produzieren weitere bisher unbekannte Polyketide. Im Zuge dieser Forschung könnten Stoffe mit besonderen Eigenschaften auftauchen, die eines Tages vielleicht in der Arznei oder in anderen Kontexten Verwendung finden. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2022, doi: 10.1073/pnas.2116122119)
Quelle: Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (Leibniz-HKI)