Archäologie

Neues Neandertaler-Skelett entdeckt

70.000 Jahre alte Gebeine aus dem Nordirak sind erster Skelettfund seit 25 Jahren

Shanidar Z
Arm und Rippen des neuentdeckten 70.000 Jahre alten Neandertalerskeletts aus der Shanidar-Höhle. © Graeme Barker

Spannender Fund: In der Shanidar-Höhle im Nordirak haben Forscher ein neues Neandertalerskelett entdeckt – es ist der erste Fund dieser Art seit 25 Jahren. Die 70.000 Jahre alten Gebeine stammen von einem erwachsenen Neandertaler im mittleren Alter und könnten ganz neue Einblicke in das Leben und die Bestattungsgebräuche unserer eiszeitlichen Vettern geben. Denn die Position des Skeletts spricht dafür, dass dieser Tote absichtlich bestattet wurde.

Shanidar-Höhle
Eingang der Shanidar-Höhle im Nordosten des Irak.© Graeme Barker

Die Shanidar-Höhle im Nordosten des Irak ist eine der berühmtesten Neandertaler-Fundstätten weltweit. In den 1950er Jahren wurden dort die Überreste von gleich zehn Neandertalern gefunden – Männern, Frauen und Kindern. Diese Funde haben seither wichtige Informationen zur Lebensweise und zum Verhalten der Neandertaler aufgedeckt, darunter ihren Speiseplan, aber auch einen urzeitlichen „Mordfall„.

Neues Skelett in alter Höhle

In der Hoffnung, in der Shanidar-Höhle noch mehr Zeugnisse aus der Neandertaler-Ära zu finden, führen Forscher unter Leitung von Graeme Barker von der University of Cambridge dort seit 2014 wieder Ausgrabungen durch. „Wir schätzten uns schon glücklich, wenn wir die Fundorte der Neandertaler aus den 1950er Jahren wiederfinden und die umgebenden Sedimente datieren könnten“, erklärt Barker. „Wir haben nicht erwartet, dort noch irgendwelche Neandertalerknochen zu finden.“

Doch als die Forscher den alten Graben wieder öffneten und erweiterten, ragte sieben Meter unter dem Höhenboden plötzlich eine Rippe aus der Grabenwand. Nach und nach legten die Archäologen dann weitere Teile eines Skeletts frei, zuletzt auch den flachgedrückten Schädel des Toten. Erste Analysen des „Shanidar Z“ getauften Funds ergaben, dass der Tote mehr als 70.000 Jahre alt ist – er war demnach ein Neandertaler.

„Dies ist das erste Neandertalerskelett im anatomischen Verband, das seit 25 Jahren gefunden wurde“, berichten die Forscher. Bei dem Toten handelt es sich den Zähnen nach um eine Person mittleren bis höheren Alters, das Geschlecht ist jedoch unbekannt.

Lag der Tote in einem echten Grab?

Das Spannende daran: Die Position des Skeletts und die Beschaffenheit der Grube könnten darauf hindeuten, dass dieser Neandertaler von seinen Zeitgenossen bestattet wurde. Denn der Tote lag auf dem Rücken mit nach links gedrehtem Kopf. Die linke Hand war zum Kopf gebogen, der rechte Arm lag angewinkelt auf der Brust, wie die Forscher berichten. Ein dreieckiger Stein war wie ein Kissen unter Kopf und rechte Schulter geschoben, so dass diese leicht erhöht lag.

Zwar fehlt bislang die untere Hälfte des Skeletts, die Forscher vermuten aber, dass die Beine seitlich angewinkelt waren. Der tote Neandertaler lag demnach in halber Fötusstellung auf der Seite. Das auf dem Skelett gefundene Sediment deutet darauf hin, dass der Tote erst in die Grube gelegt und dann mit Erde bedeckt wurde. All dies spricht nach Ansicht von Barker und seinem Team nicht für einen Zufall. „Es gibt erste starke Belege dafür, dass Shanidar Z absichtlich beerdigt worden ist“, sagt Barker.

Brustkorb
Rippen und Wirbelsäule des Neandertalerskeletts Shanidar Z.© Graeme Barker

Wertvolle Hinweise auf Bestattungsgebräuche

Damit könnte das neue Skelett Antworten auf eine alte Streitfrage liefern: Wie gingen die Neandertaler mit ihren Toten um? Denn einige frühere Funde aus Shanidar, darunter das sogenannte „Blumengrab“, legen nahe, dass die Neandertaler schon Bestattungen und eigens ausgehobene Gräber kannten. Andere Funde unter anderem in Frankreich zeigen aber auch, dass zumindest einige Neandertaler-Gruppen ihre Toten wenig pietätvoll behandelten und sie sogar verstümmelten.

Das Problem dabei: „Ein großer Teil der Forschung dazu, wie die Neandertaler ihre Toten behandelten, muss bislang auf 60 bis 100 Jahre alte Funde zurückgreifen – aus einer Zeit, als die archäologischen Techniken noch weit begrenzter waren“, erklärt Barkers Kollegin Emma Pomeroy. Doch der neue Skelettfund eröffnet nun die Chance, die Bestattungsgebräuche der Neandertaler mit modernsten Mitteln zu untersuchen – von der DNA bis zu Details des Grabes.

„Wenn die Neandertaler die Shanidar-Höhle als Gedenk- und Ruhestätte für ihre Toten verwendeten, dann wäre dies ein Hinweis auf eine hohe kulturelle Komplexität“, erklärt Barker. Denn es gibt einige Hinweise darauf, dass die Neandertaler damals wiederholt zur Höhle zurückkehrten, um dort Tote zu deponieren. Das Skelett von Shanidar Z wird zurzeit in den Laboren der University of Cambridge untersucht, ebenso wie zahlreiche Proben aus der Höhle. (Antiquity, 2020; doi: 10.15184/aqy.2019.207)

Quelle: University of Cambridge

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