Tiefsee-Brutstätte: Fünf Jahre, nachdem vor Kalifornien die größte Oktopus-Kinderstube der Welt entdeckt worden ist, haben Forschende nun neue Erkenntnisse zum Nistverhalten der dortigen Kopffüßer gewonnen. Demnach tummeln sich allein im Zentrum der Fläche rund 6.000 Oktopusse. Die Weibchen brüten ihre Eier über zwei Jahre hinweg aus – verhältnismäßig schnell für die Tiefsee. Das gelingt ihnen nur, indem sie die Wärme von Thermalquellen nutzen. Nach dem Schlüpfen ihrer Jungen sterben sie und werden zu einem Mahl für lauernde Aasfresser.
Im Jahr 2018 bot sich einem Forschungsteam vor der Küste Kaliforniens ein atemberaubender Anblick: tausende Perlkraken (Muusoctopus robustus), die in 3,2 Kilometern Tiefe entlang den Klippen eines erloschenen Tiefseevulkans brüteten. Obwohl dieser kein Feuer mehr spuckt, befinden sich auf dem Davidson Seamount immer noch zahlreiche hydrothermale Quellen, die das eisige Tiefseewasser stellenweise erwärmen. Die Forschenden nehmen an, dass sie etwas mit der massenhaften Krakenansammlung zu tun haben könnten.
Zu Besuch im Oktopusgarten
Um mehr über den „Oktopusgarten“ genannten Nistgrund der Kraken herauszufinden, haben Forschende um James Barry vom Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI) das Gebiet drei Jahre lang mit Hightech-Instrumenten überwacht. Diese lieferten unter anderem hochauflösende Bilder, Zeitraffer-Videos sowie Temperatur- und Sauerstoffmessungen vom Meeresgrund. Autonome Unterwasserfahrzeuge kartierten die Kopffüßer-Kinderstube außerdem auf den Meter genau, ohne die Oktopusmütter dabei zu stören.
Anhand der umfangreichen Daten konnten Barry und sein Team nun erstmals die Anzahl der Oktopusse am Davidson Seamount genau beziffern. Demnach halten sich allein im 2,5 Hektar großen Zentrum des Gebiets 5.718 Perlkraken auf, darunter 4.707 nistende Weibchen. Man erkennt sie daran, dass sie quasi verkehrt herum am Meeresgrund hocken, die Arme um ihren Körper geschlungen. Da sie dabei von Weitem wie blassviolette Perlen von der Größe einer Grapefruit aussehen, hat man sie auf den Namen Perlkrake getauft.
Auch abseits vom Zentrum wimmelt es am Davidson Seamount nur so vor Oktopussen. Barry und seine Kollegen schätzen die Gesamtpopulation des 333 Hektar großen Hügels auf knapp über 20.000 Individuen.
Warme Quellen verkürzen Brutzeit
Doch das wirft die Frage auf: Was machen all diese Tiere auf einem Fleck? Warum versammeln sich die Oktopusse alle an dieser Stelle? Die Forschenden haben beobachtet, dass sich die Perlkraken gezielt in Spalten aufhalten, die von hydrothermalen Quellen durchflossen werden. Zusätzliche Messungen ergaben, dass es dort im Schnitt elf Grad warm ist, während das umliegende Wasser es gerade einmal auf 1,6 Grad bringt.
Barry und sein Team gehen daher davon aus, dass dieser Wärmeschub den Oktopussen bei der Brut hilft. Denn Kraken sind kaltblütige Tiere, die ihre Körpertemperatur nicht selbst kontrollieren können. Die kalten Temperaturen der Tiefsee verlangsamen ihren Stoffwechsel und auch die Embryonalentwicklung daher enorm. Eine andere Art von Tiefsee-Oktopus braucht dadurch 4,5 Jahre, um seine Eier auszubrüten.
Würden die Perlkraken im kalten Wasser rund um den Vulkan brüten, würde das sogar fünf bis acht Jahre dauern, wie die Meeresbiologen ermittelt haben. Doch inmitten der Thermalquellen verkürzt sich diese Zeit auf nicht einmal zwei Jahre. Das erhöht auch die Überlebenschancen der Brut erheblich, denn je weniger Zeit die Kraken als wehrlose Embryos verbringen, desto geringer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich verletzen, gefressen werden oder eine Infektion erleiden. „Indem sie an hydrothermalen Quellen nisten, verschaffen Krakenmütter ihrem Nachwuchs einen Vorsprung“, fasst Barry zusammen.
Krakenweibchen opfern ihr Leben
Die Oktopus-Weibchen gehen in ihrer Hingabe für den Nachwuchs aber noch deutlich weiter, als lediglich einen guten Brutplatz für ihn auszuwählen. Sobald ihre circa 60 länglichen Eier gelegt sind, bedecken sie das Nest schützend mit ihrem Körper und verlassen es fortan nicht mehr, wie die Forschenden beobachten konnten. Die Weibchen zehren während der monatelangen Brut von den Nahrungsreserven in ihrem Gewebe. Wie für Kopffüßer typisch, überleben die meisten immerhin noch bis zum Schlupf der Kleinen, manche sterben aber auch schon früher an Erschöpfung.
Die Männchen hingegen sterben bereits kurz nach der Paarung, berichten Barry und seine Kollegen. Dieses reichhaltige Buffet aus toten Elterntieren und verwaisten Embryonen lockt wiederum größere Aasfresser wie Grenadierfische, Bartmännchen, Wellhornschnecken und Seeanemonen an, die sich von den Krakenkadavern ernähren.
Damit wird der Oktopusgarten zu einer Oase in der sonst so kargen und nahrungsarmen Tiefsee. Barrys Team schätzt, dass es in den Nistgründen 72 Prozent mehr Nahrung zu finden gibt als außerhalb.
Weiterhin offene Fragen
Obwohl die Wissenschaftler bereits viel über den mysteriösen Oktopusgarten lernen konnten, bleiben immer noch offene Fragen. Wohin begeben sich die Perlkraken nach dem Schlüpfen? Wie finden die Elterntiere die Thermalquellen? Und wie haben sie sich an das dortige Brüten angepasst? Weitere Forschung könnte noch mehr über das ungewöhnliche Leben der Perlkraken offenbaren. (Science Advances, 2023; doi: 10.1126/sciadv.adg3247)
Quelle: Monterey Bay Aquarium Research Institute