Alarmierende Bilanz: In Nordamerika gibt es heute drei Milliarden Vögel weniger als noch vor knapp 50 Jahren – die Bestände sind um fast ein Drittel geschrumpft, wie eine Studie enthüllt. Betroffen von diesem drastischen Schwund sind auch häufige Vogelgruppen wie Spatzen, Finken, Sänger und Drosseln. Als wahrscheinlichste Ursache sehen die Forscher die Landwirtschaft, den Pestizideinsatz und die Urbanisierung, wie sie im Fachmagazin „Science“ berichten.
Wir leben im Zeitalter des sechsten Massenaussterbens – einem von uns Menschen selbst verursachten Artenschwund. So sind weltweit rund eine Million Tier- und Pflanzenarten akut vom Aussterben bedroht, wie kürzlich ein Bericht aufzeigte. In Deutschland ist zudem die Biomasse der fliegenden Insekten seit Ende der 1980er um drei Viertel zurückgegangen. In ganz Europa hat sich zudem die Zahl der Feldvögel halbiert.
Drei Milliarden Vögel weniger
Jetzt kommt eine weitere Hiobsbotschaft aus Nordamerika: Auch dort sind die Vogelbestände alarmierend geschrumpft, wie Kenneth Rosenberg von der Cornell University in Ithaca und seine Kollegen festgestellt haben. Für ihre Studie hatten sie Daten zu den Beständen von 529 Vogelarten in den USA und Kanada seit 1970 ausgewertet. Zusätzlich nutzten sie Daten eines Netzwerks von 143 Radarstationen, um die Veränderungen in der Dichte und Menge der Zugvogelschwärme von 2007 bis 2017 zu ermitteln.
Das Ergebnis: In den letzten knapp 50 Jahren hat Nordamerika ein Drittel seiner Vögel verloren. Heute leben in dieser Region insgesamt 2,9 Milliarden Vögel weniger als noch 1970, wie die Forscher berichten. Dieser drastische Schwund macht sich auch beim Vogelzug bemerkbar: Die Dichte und Größe der nächtlichen Schwärme haben in den letzten rund zehn Jahren um knapp 14 Prozent abgenommen.
Auch Spatz, Drossel, Fink und Co betroffen
Ein so massiver und verbreiteter Vogelschwund kam selbst für die Wissenschaftler überraschend: „Wir haben erwartet, bei den bedrohten Arten einen Rückgang zu finden“, sagt Rosenberg. „Aber die Ergebnisse zeigten durchgängig Verluste auch bei häufigen Vogelarten und in allen Lebensräumen.“ Besonders drastisch ist der Rückgang bei den Feld- und Wiesenvögeln: Ihre Bestände haben sich seit 1970 halbiert. Aber auch die Zahl der Waldvögel ist um mehr als ein Million Tiere zurückgegangen, wie die Forscher berichten.
Erschreckend auch: Unter den zwölf am stärksten betroffenen Vogelfamilien sind auch „Allerweltsvögel“ wie Sperlinge, Sänger, Finken und Drosseln. Doch gerade diese Arten spielen in der Natur eine wichtige Rolle: „Diese weitverbreiteten und häufigen Spezies könnten überproportional einflussreiche Komponenten der Nahrungsnetze und Ökosystemfunktionen sein“, erklären Rosenberg und sein Team.
Sorge macht den Forscher auch, dass der Rückgang viele Generalisten unter den Vögeln und sogar eingeführte Arten trifft. Das spreche dafür, dass die verschwundenen Vogelarten nicht einfach durch andere ersetzt werden, die besser mit den vom Menschen veränderten Landschaften klarkommen, erklären sie.
„Bisher übersehene Biodiversitätskrise“
Nach Ansicht der Wissenschaftler sind ihre Ergebnisse ein alarmierender Weckruf – und eine Bestätigung von ähnlichen Trends in Europa und anderswo. „Unsere Studie dokumentiert eine länger anhaltende, aber bisher übersehene Biodiversitätskrise in Nordamerika – den Verlust von fast drei Milliarden Vögeln verteilt über nahezu die gesamte Avifauna“, konstatieren Rosenberg und seine Kollegen.
Doch was ist schuld am Vogelschwund? Zwar geht die Ursache nicht eindeutig aus den Daten hervor. Die Forscher vermuten aber, dass vor allem der Verlust von Lebensräumen durch Landwirtschaft und Urbanisierung dafür verantwortlich ist. Auch Pestizide und den damit verbundenen Nahrungsmangel für viele Vögel sehen sie als mögliche Gründe an. Dazu passt, dass Studien kürzlich sogar direkte Giftwirkungen von Pestiziden auf Singvögel und Zugvögel nachgewiesen haben.
Folgen auch für uns Menschen
Die Forscher betonen, dass nun dringend gehandelt werden muss – denn die Folgen des Vogelschwunds treffen auch uns. „Die Populationsrückgänge und das Artensterben werden schwere direkte und indirekte Konsequenzen haben“, warnen sie. Denn Vögel übernehmen in der Natur viele unverzichtbare Aufgaben, von der Samenverbreitung über die Schädlingsbekämpfung bis hin zur Nahrung für viele Raubtiere. Wenn sie wegfallen, könnten daher ganze Ökosysteme kollabieren.
„Noch ist das Ende der Geschichte nicht geschrieben“, sagt Michael Parr von der American Bird Conservancy. Es gebe noch viele Möglichkeiten, die Vögel zu retten. Dazu gehören politische Maßnahmen wie das Verbot der Zugvogeljagd, der Naturschutz oder die Beschränkung des Pestizideinsatzes. Aber auch jeder einzelne könnte etwas tun: „Es hilft schon, Katzen am Streunen zu hindern, Fenster vogelsicher zu machen oder geeignete Habitate für die Vögel zu schaffen“, sagt Parr.
„Wir müssen diese Bedrohung dringend angehen“, mahnt auch Peter Marra von der Georgetown University in Washington DC. „Oder können Sie sich eine Welt ohne Vogelgesang vorstellen?“ (Science, 2019; doi: 10.1126/science.aaw1313)
Quelle: Cornell University, Science