Skurril wie ein Fabeltier: Ein pazifischer Oktopus wirft fast alles über den Haufen, was bisher als typisch für achtarmige Kraken galt. Er nutzt einen raffinierten Schleichtrick, um seine Beute zu fangen, paart sich Schnabel an Schnabel und teilt sogar seine Nahrung mit der Partnerin – etwas völlig Ungewöhnliches bei Kraken. Das Skurrile an der Geschichte: Dieser Oktopus ist so rätselhaft, dass er noch nicht einmal einen offiziellen Namen bekam, wie die Forscher im Fachmagazin „PloS ONE“ berichten.
Oktopusse sind schon per se seltsame Gesellen. Sie sind Meister der Tarnung, nutzen Werkzeuge, bebrüten ihre Eier monate- und sogar jahrelang und gelten generell als ziemlich intelligent. Doch der Große Pazifische Gestreifte Oktopus ist in mancher Hinsicht noch bizarrer.
Bis heute offiziell namenlos
Dieser im östlichen tropischen Pazifik beheimatete Oktopus ist eigentlich alles andere als unauffällig: Seine Haut zeigt ein kontrastreiches Muster aus weißen und dunkelbraunen Streifen und Punkten. Dennoch existiert er offiziell bis heute gar nicht – es gibt weder eine offizielle Artbeschreibung, noch besitzt er einen fachsprachlichen Namen. Zwar wurde er bereits in den 1970er Jahren beobachtet und auch teilweise beschrieben, doch das reichte nicht aus, um ihn in die offiziellen Artlisten aufzunehmen.
Noch viel spannender aber ist die Lebensweise dieses rätselhaften Kraken. Denn anekdotische Berichte ließen bereits erahnen, dass er über ein ungewöhnliches Verhaltens-Repertoire verfügt. Was an diesen Berichten dran ist, haben Roy Caldwell von der University of California in Berkeley und seine Kollegen nun erstmals genauer untersucht. Sie akquirierten 24 in Nicaragua gefangene Exemplare dieses Oktopus und siedelten sie in großen Meerwasserbecken in ihrem Labor an.
Raffinierter Trick: Antippen von hinten
Die erste Überraschung kam bei der Fütterung der Kraken: Normalerweise überfallen Oktopusse ihre Beute und packen sie mit allen Armen. Doch nicht so der Pazifische Gestreifte Oktopus: „Wenn dieser Krake einen Krebs in der Ferne sieht, plattet er sich ab und schleicht sich an“, schildert Caldwell. „Dann streckt er vorsichtig einen Arm über den Krebs hinweg und tippt ihn an der entgegengesetzten Seite an.“ Der erschrockene Krebs schnellt instinktiv zurück – und landet damit direkt in den Armen des raffinierten Kraken. „Etwas Derartiges habe ich noch nie gesehen“, sagt Caldwell.
Bei einem Oktopus-Pärchen, das gemeinsam eine Höhle bewohnte – auch das schon sehr ungewöhnlich –, beobachteten die Forscher eine weitere Besonderheit im Fressverhalten: Hatte das Weibchen einen Krebs ergattert, näherte sich das Männchen und beide stellten sich Schnabel an Schnabel voreinander auf. Selbst ihre Saugnäpfe legten sie dabei aneinander und blieben so mehrere Minuten lang. „Es schien, als wenn beide Tiere in dieser Position gemeinsam fraßen“, berichten die Forscher.
Schmerzhafte Umarmung
Ähnlich ungewöhnlich ist auch die Paarung dieses Kraken. Sie beginnt, indem sich das Männchen dem größeren Weibchen frontal nähert, bis beide Schnabel an Schnabel sitzen. „Diese Paarungsposition ist bei Oktopussen sonst völlig unbekannt“, erklären die Forscher. Das Männchen führt dann seinen zum Paarungsorgan umfunktionierten Arm in den Mantel des Weibchens ein.
„Währenddessen umschließt das Weibchen ihren Partner oft teilweise oder sogar ganz mit ihren Armen, die Arme des Männchen sind dabei nach hinten über seinen Mantel zurückgeklappt“, berichten Caldwell und seine Kollegen. Dabei geht es nicht immer friedlich zu: Nach der Paarung bleiben auf dem Mantel des Männchens oft Saugnapfmale zurück. In einem Fall wehrte sich das Männchen allerdings gegen seine zu rabiate Partnerin: Es stieß einen Schwall dunkler Tinte aus.
Intensive Brutpflege
Einmal befruchtet, beginnen die Oktopusweibchen mit der Eiablage – und hören fast bis zu ihrem Tod nicht mehr auf. Eine der Oktopus-Damen legte sechs Monate lang täglich Eipakete und befestigte sie an der Wand ihrer Wohnhöhle, wie die Forscher beobachteten. Während dieser Zeit bewachen die Oktopusse ihre Brut und kümmern sich um das Wohlergehen der in den Eiern heranreifenden Larven: „Die Weibchen strichen wiederholt mit den Spitzen ihrer Arme durch die Eipakete – wahrscheinlich um sie von Verschmutzungen zu reinigen“, berichten die Biologen.
Eine Eigenheit des Pazifischen Gestreiften Oktopus ist es dabei, dass die Weibchen sich selbst während ihrer Eiablage noch weiter mit verschiedenen Männchen paaren und auch weiter fressen. Bei anderen Oktopusarten stellen die Weibchen all dies komplett ein und kümmern sich nur noch um den Nachwuchs bis sie schließlich sterben.
„Fabeltier aus der Kryptozoologie“
Nach Ansicht der Forscher zeigen diese Beobachtungen, wie wenig bisher über die Oktopusse und ihre Verhalten bekannt ist. „Es gibt unter ihnen eine Menge Arten, aber die meisten davon wurden noch nie lebend in freier Wildbahn beobachtet und erst recht nicht systematisch untersucht“, sagt Caldwell.
„Das unglaubliche und einzigartige Verhalten dieses faszinierenden Oktopus zu beobachten, war daher, als wenn ein Fabeltier aus der Kryptozoologie real geworden wäre“, meint der Forscher. „Es erinnert uns daran, wie viel wir noch über die mysteriöse Welt der Kopffüßer lernen müssen.“ (PLoS ONE, 2015; doi:10.1371/journal.pone.0134152)
(University of California – Berkeley, 13.08.2015 – NPO)