Moleküle in biologischen Zellen halten einen hohen Grad an räumlicher Ordnung aufrecht, obwohl sie sich ständig in Bewegung befinden. Auf den ersten Blick scheint dies grundlegenden physikalischen Prinzipien zu widersprechen, die Bewegung mit Unordnung in Verbindung bringen. Wissenschaftler haben nun an einem einfachen biomimetischen Modellsystem den entgegen gesetzten Effekt gezeigt – das Eintreten räumlicher Ordnung durch molekulare Bewegung. Wie die Forscher in der Fachzeitschrift Physical Review Letters berichten, dürfte dies zukünftig helfen, grundlegende Musterbildungsprozesse in biologischen Zellen zu verstehen.
Das Zytoskelett gibt biologischen Zellen mechanische Stabilität und spielt eine große Rolle für intrazellulären Transport und Dynamik. Auf den Filamenten des Zytoskeletts kann die Bewegung von Motorproteinen gerichtet verlaufen, was einen schnellen Transport über große Entfernungen entlang der "Filamentschienen" des Zytoskeletts ermöglicht. Neben ihrer Funktion als Nano-Zugmaschinen sind molekulare Motoren auch an der ständigen Umorganisation des Zytoskeletts selbst aktiv beteiligt. Diese Umorganisation ist notwendig für Zellmotilität und Zellteilung. Während dieser Prozesse sind die Filamente des Zytoskeletts in ständiger Bewegung.
Geordnete Strukturen trotz Dynamik
Trotzdem werden in diesem dynamischen Zustand geordnete Strukturen wie die mitotische Spindel hervorgebracht. Um die Prinzipien zu verstehen, die hinter dieser motorgetriebenen Dynamik und den damit verbundenen Musterbildungsprozessen durch Filamente des Zytoskeletts stehen, nutzen Forscher biomimetische Modellsysteme wie etwa ‚Motility-Assays’, die nur einige wenige Komponenten biologischer Zellen enthalten. In einem Motility-Assay werden molekulare Motoren auf einer Oberfläche adsorbiert und verankert, über die sie dann Zytoskelett-Filamente ziehen.
Die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam haben nun eine neue Theorie entwickelt und in Computersimulationen gestestet, die erklären, wie sich die Filamente unter dem Einfluss dieser Zugbewegung und im Zusammenspiel mit Kollisionen spontan parallel ordnen. Diese parallele Ordnung von Filamenten ist der so genannten nematischen Ordnung stäbchenförmiger Moleküle in einem Flüssigkristall sehr ähnlich.
Erhöhte Tendenz zur Ordnung
Aber während die parallele Ordnung im Flüssigkristall nur durch eine Erhöhung der Filamentdichte oder -länge ausgelöst wird, kann die Filamentordnung im Motility-Assay auch durch eine Erhöhung der Motorendichte erreicht werden. Überraschenderweise verstärkt somit die motorgetriebene Bewegung der Filamente die Tendenz zur Ordnung. Dies scheint einem physikalischen Grundprinzip zu widersprechen, demzufolge mikroskopische Bewegung von Molekülen im Allgemeinen zu einer Zerstörung ihrer Ordnung führt – ein bekanntes Beispiel dafür ist das Schmelzen eines Kristalls.
Die größere Orientierungsordnung der Filamente unter dem Einfluss der Aktivität molekularer Motoren wurde in Computersimulationen gezeigt (vgl. Abb.) In Abbildung (a) ist die Motordichte klein und die Filamente zeigen keine Ordnung. In Abbildung (b) wurde lediglich die Motorendichte erhöht und die Filamente ordnen sich parallel zueinander an. Theoretisch kann dieser Effekt mithilfe des Konzeptes einer effektiven Filamentlänge erklärt werden, die sich vergrößert aufgrund der Motoraktivität: Weil die Motoren die Filamente entlang ihrer Achse bewegen, haben diese eine größere effektive Länge und beginnen bereits bei geringeren Dichten, miteinander zu wechselwirken und sich dadurch parallel anzuordnen.
Dieses allgemeingültige theoretische Konzept sollte sich auch auf andere Motor-Filament-Systeme anwenden lassen. So deuten mehrere experimentelle Studien darauf hin, dass sich in Lösungen von Filamenten und Motorproteinen – durch die Aktivität molekularer Motoren – auch in drei Dimensionen eine Orientierung der Filamente einstellen kann.
(Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, 27.07.2006 – AHE)