Verschobener Blick: Bei Pädophilen ist das für die Verarbeitung von Gesichtszügen zuständige Netzwerk falsch gepolt, wie Hirnforscher herausgefunden haben. Es zeigt bei Kindergesichtern die Aktivität, die normalerweise nur durch erwachsene potenzielle Geschlechtspartner ausgelöst wird. Die den Beschützerinstinkt auslösenden Signale der Kindlichkeit und Unreife werden demnach nicht oder falsch verarbeitet, so die Forscher im Fachmagazin „Biology Letters“.
Am Gesicht lässt sich vieles ablesen: Wir erkennen daran Geschlecht, Alter, Stimmung und reagieren auch auf unbewusste Schlüsselreize, die sich in den Gesichtszügen verbergen. Sie lösen beispielsweise den typischen Beschützerinstinkt gegenüber Kindern aus. Auslöser dafür ist vor allem das Kindchen-Schema, wie Jorge Ponseti von der Christian-Albrechts Universität Kiel und seine Kollegen erklären: Große Augen, eine hohe gewölbte Stirn und das rundliche Gesicht signalisieren, dass es sich um ein unreifes, hilfsbedürftiges Wesen handelt.
Gesichtserkennungs-Netzwerk stellt die Weichen
Die Gesichtszüge eines ausgewachsenen Mannes oder einer Frau sind dagegen wichtige Signalgeber bei der Partnerwahl, wie die Forscher erklären. Verantwortlich für die Erkennung von Gesichtern – und dieser Signale – sind spezielle Netzwerke im Gehirn. Sie werten die optischen Informationen aus und stellen die Weichen dafür, welche Gefühle und Reaktionen ausgelöst werden: Fürsorge oder sexuelle Anziehung. Genau diese Unterscheidung scheint aber bei Pädophilen nicht zu funktionieren oder sogar ins Gegenteil verkehrt zu sein: Sie fühlen sich von Kindern sexuell angezogen, statt von Erwachsenen.
Um herauszufinden, welche Rolle die Netzwerke zur Gesichtserkennung dabei spielen, haben Ponseti und seine Kollegen ihre Funktion bei Pädophilen genauer untersucht. In ihrem Experiment zeigten sie 24 männlichen Pädophilen und 32 hetero- und homosexuellen Kontrollpersonen Gesichter von Frauen, Männern und Kindern. Gleichzeitig analysierten sie die Hirnaktivität der Probanden mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT). Zudem baten sie alle Probanden, die Gesichter nach ihrer sexuellen Attraktivität zu bewerten.
Falsch gepolt
Die sexuelle Präferenz der Probanden spiegelte sich tatsächlich klar in ihrer Hirnaktivität wider, berichten die Forscher. Immer dann, wenn diese ein als sexuell attraktiv gewertetes Gesicht auf dem Bildschirm sahen, reagierten auch bestimmte Teile ihres Gesichtserkennungs-Netzwerks besonders stark. Bei den Kontrollpersonen geschah dies erwartungsgemäß beim Anblick von erwachsenen Männern oder Frauen. Besonders aktiv waren dabei Teile des Stirnhirns, sowie Windungen der seitlichen und hinteren Hirnrinde, wie die Aufnahmen zeigten.
Bei den Pädophilen dagegen blieben diese Netzwerkteile beim Anblick erwachsender Gesichter ruhig. Sie reagierten dafür immer dann, wenn der Teilnehmer ein Kindergesicht sah. „Das entscheidend Neue daran ist, dass die neuronale Verarbeitung von Gesichtern verrät, welches Entwicklungsstadium jemand sexuell bevorzugt“, erklären Ponseti und seine Kollegen.
Möglichkeit der Früherkennung
Zwar springt bei allen Menschen das gleiche Netzwerk an, wenn sie das Gesicht eines für sie sexuell attraktiven Menschen sehen. Bei den Pädophilen aber ist dieses Netzwerk anomal gepolt: Statt auf die Merkmale typisch erwachsender, reifer Gesichter, reagiert es auf Signale, die normalerweise den Fürsorge-Instinkt wecken – auf das Kindchen-Schema. Bei Pädophilen stellt der Anblick eines Kindergesichts daher schon auf dieser frühen Ebene ganz andere Weichen im Gehirn.
Nach Ansicht der Forscher könnte diese Erkenntnis auch dabei helfen, eine Neigung zur Pädophilie früher und besser als bisher zu erkennen. Denn bisher werden den Betroffenen dafür unter anderem Bilder nackter Kinder gezeigt, während ihre Hirnaktivität dabei ausgewertet wird. Das aber weckt ethische Bedenken. „Künftig könnte Pädophilie nun auch über die Reaktion auf Gesichter diagnostiziert werden“, sagen Ponseti und seine Kollegen. Das ist unproblematischer und könnte auch schon bei Jugendlichen eingesetzt werden. Noch sind allerdings weitere Tests nötig, auch um mögliche individuelle Unterschiede zu klären. (Biology Letters, 2014; doi: 10.1098/rsbl.2014.0200)
(Royal Society, 21.05.2014 – NPO)