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Biologie

Parasitischer Pilz kastriert Fichtenblüten

Neu entdeckter Pilz befällt männliche Blüten der Fichte und ernährt sich von den Pollen

Pilzbefall
Der parasitische Pilz Microstrobilinia castrans befällt männliche Fichtenblüten, erkennbar ist dies an den becherförmigen, dunkelgrauen Fruchtkörpern. © Valentin Queloz/ WSL

Nadelbaum-Parasit: Forschende haben einen zuvor unbekannten Pilz entdeckt, der männliche Blüten verschiedener Fichtenarten befällt und zerstört. Die neue Schlauchpilz-Art Microstrobilinia castrans wurde bereits bei heimischen Fichten in höheren Lagen des Schwarzwalds, im Voralpenland und den Alpen gefunden, aber auch bei Himalaya-Fichten in Parks und Gärten. Ob der Pilz eingeschleppt wurde, ist noch unklar. Weil er aber nur einige Blüten einer Fichte befällt, scheint der Befall für den Baum keine schwerwiegenden Folgen zu haben.

Die Gemeine Fichte (Picea abies) ist der wichtigste Forstbaum in Europa, Der einst vorwiegend in kühlfeuchten Bergwäldern und borealen Nadelwäldern vorkommende Nadelbaum wird deshalb heute in fast allen Gegenden Mitteleuropas als Holzlieferant angepflanzt. Allerdings hat es die Fichte zunehmend schwer: Wärme, Trockenheit und der Borkenkäfer setzen ihr zu, in manchen Gegenden sind ganze Waldflächen abgestorben oder müssen gefällt werden. Auch deshalb sind die Fichte und ihre potenziellen Schädlinge besonders gut untersucht.

Fundstellen
Bisherige Fundstellen des neu entdeckten Pilzes (rot) und Verbreitungsgebiet der heimischen Fichte (grün). © Ludwig Beenken

Graue Becher an einer Fichtenblüte

Umso überraschender ist daher ein Fund, den der Pilzexperte Andrin Gross von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) im Jahr 2018 direkt vor seiner Tür machte: An den männlichen Blüten einer im Garten des WSL stehenden Himalaja-Fichte (Picea smithiana) entdeckte er gräulich gefärbte, becherförmige Auswüchse. Untersuchungen ergaben, dass die Fichtenblüten von einem zuvor unbekannten Pilz befallen waren.

Durch Untersuchungen im Labor und den Abgleich mit Pilzarchiven und genetischen Datenbanken ermittelten die Forschenden, dass es sich bei dem neu entdeckten Fichtenpilz um eine zuvor unbekannte Gattung der Schlauchpilze handelte. „Es ist selten, in der Schweiz oder gar in Europa eine neue Pilzgattung zu entdecken“, sagt Erstautor Ludwig Beenken vom WSL. Er und seine Kollegen haben die neue Pilzart Microstrobilinia castrans getauft – wegen ihres zerstörerischen Befalls nur der männlichen Blüten.

Befall auch der heimischen Fichte

Doch wie verbreitet ist dieser Pilz? Um das herauszufinden, starteten die Pilzexperten des WSL gemeinsam mit freiwilligen Helfern eine großangelegte Suche im natürlichen Verbreitungsgebiet auch der heimischen Fichte. Es zeigte sich: „Dieser neue Pilz kommt auch auf der heimischen Picea abies in den Alpen und in den Gebirgsregionen Süddeutschlands und Norditaliens vor“, berichten sie. Das Team entdeckte den Pilz auch auf Fichten im Schwarzwald, sowie auf in Parks und Gärten angepflanzten Himalaja-Fichten und Serbischen Fichten (Picea omorika). Auf anderen Fichtenarten scheint er dagegen nicht vorzukommen.

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Bei der heimischen Fichte scheint Microstrobilinia castrans vorwiegend in Höhenlagen ab 850 Metern zu gedeihen. Bei der aus Asien stammenden Himalaja-Fichte kommt der Pilz dagegen auch in tieferen Lagen wie Stadtparks und Gärten vor. „Bemerkenswert ist auch, dass von mehreren dicht beieinander stehenden Fichten oft nur eine oder wenige Exemplare befallen sind“, berichten Beenken und sein Team. Ob dies daran liege, dass verschiedene Bäume unterschiedlich anfällig sind, sei aber noch unklar.

Erst weißes Mycel, dann die grauen Fruchtkörper

Klar ist hingegen, dass der parasitische Pilz ausschließlich männliche Fichtenblüten befällt, von den Fichtenpollen zehrt und die befallene Blüte dadurch zerstört. Im Frühjahr bildet der Pilz dabei zunächst nur ein wattiges, weißes Mycel im Blüteninneren aus. Im Sommer und Herbst entstehen dann die äußerlich an den Blüten sichtbaren becherartigen Fruchtkörper des Pilzes, die sogenannte Apothecien. „Bei den größeren Pollenzapfen der Himalaja-Fichte haben sie bis zu fünf Millimeter Durchmesser, bei der Gemeinen und serbischen Fichte sind sie kleiner“, berichten die Forschenden.

Die infizierten Blütenzapfen bleiben über mehrere Jahre am Baum hängen und der Pilz erzeugt in ihnen mehrere Jahre lang seine Fruchtköper – mehr als drei Jahre lang bei der Himalaja-Fichte, bis zu zwei Jahren bei den beiden anderen Fichtenarten. Dabei scheint Microstrobilinia castrans immer nur einige Blütenzapfen eines Baums zu befallen und kommt auf anderen Teilen der Bäume nicht vor.

Wurde der Pilz eingeschleppt?

Noch rätseln die Forschenden, woher der neu entdeckte Pilz kommt. „Unserer Meinung nach ist es aber höchst unwahrscheinlich, dass dieser auffällige Pilz in den letzten Jahrhunderten übersehen worden ist“, schreiben sie. Für wahrscheinlicher halten es Beenken und sein Team, dass Microstrobilinia castrans nach Europa eingeschleppt wurde – möglicherweise mit den als Zierbäumen beliebten Himalaja-Fichten. „Es kann sein, dass der Pilz von dieser auf einheimische Fichten übergesprungen ist“, sagt Beenken.

Sollte der Pilz doch heimisch sein, dann müsste er früher sehr selten gewesen sein. Durch Umweltveränderungen könnte sich Microstrobilinia castrans dann erst in letzter Zeit stärker ausgebreitet haben. In jedem Falle wollen die Wissenschaftler den neu entdeckten Pilz nun weiter untersuchen und im Auge behalten. Man wisse nie, ob ein Pilz auf einmal größere Probleme machen könne, zum Beispiel wenn er sich mit der Klimaerwärmung stärker ausbreitet.

Zurzeit stellt Microstrobilinia castrans aber keine Gefahr für die Fichten dar, wie das Team betont. Denn der Pilz scheint sich nicht in Massen auszubreiten und befällt immer nur wenige Blüten eines Baumes. Komplett steril wird deshalb auch eine infizierte Fichte nicht. (Mycological Progress, 2023; doi: 10.1007/s11557-023-01865-w)

Quelle: Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL

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