Eine unscheinbare krautige Pflanze, die Einbeere Paris japonica, besitzt das größte bisher bekannte Genom aller Lebewesen. Mit gut 152 Pikogramm Masse pro Zelle und einer Länge, die der des Big Ben in London entspricht, übertrifft sie den bisherigen Rekordhalter, einen Lungenfisch, um satte 15 Prozent. Warum die kleine Pflanze ein so riesenhaftes Genom entwickelt hat, ist allerdings noch unklar, denn eigentlich hat dies zahlreiche Nachteile.
Schon seit einigen Jahrzehnten erforschen Wissenschaftler das Erbgut von immer mehr Pflanzen und Tieren. Dabei hat sich schon früh herausgestellt, dass sich die Größe des Genoms und damit auch die Anzahl der in der DNA enthaltenen Basenpaare und Gene, drastisch von Lebewesen zu Lebewesen unterscheidet. Warum, ist allerdings bis heute unklar. Klar scheint nur, dass diese Variationen durchaus biologische und ökologische Auswirkungen zu haben scheinen.
Lungenfisch als Rekordhalter abgelöst
Die Spannbreite der Genomgrößen reicht vom kleinsten bisher bekannten Erbgut einer eukaryotischen Zelle, dem des endoparasitischen Pilzes Encephalitozoon intestinalis mit nur 0,0023 Pikogramm Masse pro Zelle über das menschliche Genom mit immerhin schon 3,0 Pikogramm bis hin zu den Riesengenomen der Amphibien. Der Rekordhalter in Sachen Erbgut unter den Tieren ist der Lungenfisch Protopterus aethiopicus mit fantastischen 132,8 Pikogramm. Unter den Pflanzen galt bisher eine Waldlilien-Hybride mit 132,5 Pikogramm als Pflanze mit dem größten Genom.
Jetzt jedoch haben Wissenschaftler des Jodrell-Forschungszentrums am Botanischen Garten in Kew bei London eine Pflanze entdeckt, deren Genomgröße alles bisher bekannte in den Schatten stellt: Die zu den Einbeeren gehörende Paris japonica ist noch einmal 15 Prozent größer als die von Trillium und Lungenfisch: 152,23 Pikogramm wiegt die DNA allein einer Zelle, wie die Forscher jetzt im „Botanical Journal of the Linnean Society“ berichten.
Großes Genom hat Nachteile
„Wir waren völlig erstaunt, als wir entdeckten, dass diese kleine Pflanze ein so großes Genom besitzt – es ist so groß, dass es ausbreitet höher reihen würde als der Big Ben in London“, erklärt Ilia Leitch vom Jodrell-Forschungszentrum. „Einige mögen sich fragen, was denn an einem so großen Genom besonderes ist und ob es wirklich einen Unterschied macht, wenn ein Organismus mehr DNA hat als ein anderer. Die Antwort darauf ist ein klares ‚Ja, das tut es‘.“
Interessanterweise bedeutet beim Genom größer keineswegs besser, ganz im Gegenteil: „Bei Pflanzen ist gezeigt worden, dass diejenigen mit einem großen Erbgut ein größeres Aussterberisiko besitzen“, so Leitch. „Sie sind weniger gut daran angepasst, in verseuchten Böden zu gedeihen und können extreme Umweltbedingungen schlechter tolerieren – beides hochgradig wichtige Eigenschaften in der sich heute so rapide verändernden Welt.“
Kleiner heißt schneller
Eine Ursache dafür ist bereits bekannt: Ein größeres Genom erfordert beispielsweise mehr Zeit, bis die gesamte DNA bei der Zellteilung und damit dem Wachstum des Organismus kopiert ist. Häufig besitzen Lebewesen mit größerem Genom daher einen deutlich längeren Lebenszyklus als Arten mit kleinerem. Es ist daher kein Zufall, dass beispielsweise Wüstenpflanzen, die nach einem Regen sehr schnell wachsen müssen um die kostbare Feuchtigkeit auszunutzen, meist nur ein sehr kleines Erbgut besitzen.
Warum die vor allem in Asien vorkommende Paris japonica ein so riesenhaftes Genom entwickelt hat, ist noch unklar. Die Beeren der Pflanze enthalten größere Mengen giftiger Saponine und Glykoside, die Wurzeln wurden jedoch früher in der Volksmedizin zur Behandlung ansteckender Krankheiten eingesetzt.
(Royal Botanic Gardens, Kew, 13.10.2010 – NPO)