Mutationen erfolgen zufällig. Oder doch nicht? Genau diese aktuelle Frage untersuchen jetzt Forscher in einem neuen, dreijährigen Projekt am Campus Vienna Biocenter. Sie wollen vor allem wissen, wie sich extreme Umweltbedingungen auf das Genom der Modellpflanze Arabidopsis auswirken.
Ziel der 17 Forscherinnen und Forscher vom Campus Vienna Biocenter und der Universität für Bodenkultur Wien ist es herauszufinden, ob Stressreaktionen dazu beitragen können, dass zusätzliche Veränderungen im Genom auftreten. Wenn dem so wäre, würden Mutationen nicht rein zufällig auftreten, sondern eben auch einem Einfluss des pflanzlichen Stoffwechsels unterliegen. Eine Vermutung, deren Bestätigung das heutige Verständnis der Vererbung umwälzen würde.
„Im frühen 19. Jahrhundert glaubten viele, dass die Anpassung von Lebewesen an ihre Umwelt gezielt erfolgt und dass diese Anpassungen an Nachkommen weitergegeben werden können. Darwin und die moderne Genetik räumten diese Meinung aus dem Weg. Ihnen zu Folge erfolgen vererbbare Anpassungen zufällig. Einige wenige dieser zufälligen Anpassungen bieten Vorteile und werden in der Natur selektiert. Die Ursache dieser zufälligen Anpassungen, das wissen wir heute, sind Mutationen“, erläutert Professor Heribert Hirt vom Department für Mikrobiologie und Genetik der Universität Wien.
Mutationen doch nicht zufällig?
„Seit einiger Zeit gibt es nun aber Hinweise darauf, dass Mutationen gar nicht so zufällig auftreten. Insbesondere in niederen Organismen wie Bakterien hat man zeigen können, dass bestimmte Stressarten Mechanismen aktivieren, die zu einem häufigeren Auftreten von Mutationen führen“, so Hirt weiter.
Bei den höheren Organismen sind auf Grund ihrer sesshaften Lebensweise vor allem Pflanzen dazu gezwungen sich mit einer Vielzahl von Reaktionen an Umweltstress anzupassen. Das Konsortium der Wiener Wissenschafterinnen und Wissenschafter wird nun klären, ob Änderungen des Pflanzengenoms auch durch Umweltstress hervorgerufen werden können. Zu solchen Änderungen gehören Methylierungen an Teilen der DNA oder an assoziierten Proteinen.
Stressfaktor Klimawandel
Diese zeitweisen chemischen Strukturänderungen regulieren die Gen-Aktivität und bewirken Umwelt-Anpassungen. Aber auch permanente Änderungen des Genoms sind eine Stress-Reaktion, dazu gehören Basenpaaränderungen, Vermehrung einzelner Gene oder ganzer Chromosomen. Sollte sich bewahrheiten, dass diese permanenten und damit vererbbaren Änderungen eine gezielte Reaktion auf Umweltstress sind, dann würde die Pflanze Einfluss auf die Umweltanpassungen folgender Generationen nehmen. Eine Tatsache, die nicht dem Schulbuch-Wissen entspricht.
Die akute Relevanz dieses Projekts ist für Hirt ganz offensichtlich: „Zunehmend werden Pflanzen durch den globalen Klimawandel unter Stress gesetzt. In unserem Projekt werden wir daher Pflanzen durch eben jene Bedingungen stressen, wie sie der Klimawandel hervorruft. Dazu gehören extreme Temperaturen, Trockenheit und erhöhte UV-Strahlung. Wir vermuten, dass dieser abiotische Stress sich auf das Genom auswirkt. Wir wissen aber wenig darüber, was diese Auswirkungen für die Artenentwicklung bedeuten. Die Wirkungen zu verstehen und zukünftig nutzen zu können ist das Ziel unseres Projekts.“
(Campus Vienna Biocenter, 14.02.2006 – DLO)