Forschern ist es erstmals gelungen, dem Ribosom – der Proteinfabrik der Zelle – beim Bau der Proteine zuzusehen. Sie „filmten“, wie Aminosäure-Transporter während der Proteinproduktion durch das Ribosom geschleust werden. Die dabei eingesetzte Technik der zeitaufgelösten 3D-Kryo-Elektronenmikroskopie erlaubt faszinierende neue Einblicke in die Funktionsweise der Proteinfabrik, berichten die Wissenschaftler in „Nature“.
Ribosomen sind molekulare Hochleistungsmaschinen. Nach genetisch kodierten Produktionsplänen fertigen sie Proteine – die universellen Werkzeuge aller Zellen. Proteine bauen Muskeln auf, transportieren zelluläre Fracht, empfangen und übermitteln Signale, bringen chemische Reaktionen in Gang oder sorgen für Wachstum und Bewegung.
20.000 Ribosomen in einer Bakterienzelle
Bis zu 20.000 Ribosomen gibt es in einer Bakterienzelle, bis zu einer Million sind es in den Zellen unseres Körpers. Ribosomen bestehen aus über 50 Proteinkomponenten und mehreren Ribonukleinsäure-Molekülen. Mit 25 Nanometern sind Ribosomen etwa so groß wie die kleinsten Viren. Dass es den Forschern Venkatraman Ramakrishnan, Thomas Steitz und Ada Yonath gelang, ihre komplexe Struktur mithilfe der Röntgenkristallografie aufzuklären, brachte ihnen die höchste wissenschaftliche Auszeichnung ein: Sie erhielten dafür 2009 den Nobelpreis für Chemie.
Im Kristall sind Moleküle fixiert. Atomar aufgelöste Kristallstrukturen von Ribosomen zeigen daher ein statisches Bild. Doch wie bei echten Maschinen sind die beweglichen Teile der Nanomaschine Ribosom ständig in Bewegung. Ihre genaue Funktionsweise erschließt sich auch hier erst durch genaue Betrachtung während des Betriebs.
Schockgefrorene Ribosomen
Die Forscher um Holger Stark und Marina Rodnina vom Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie haben jetzt einer makromolekularen Maschine erstmals bei der Arbeit zugeschaut. Ihre Filmsequenz eines Ribosoms in Aktion zeigt faszinierende neue Einblicke in die Funktionsweise der Proteinfabrik. Sichtbar gemacht wurden die Vorgänge durch Einsatz eines 3D-Kryo-Elektonenmikroskops an schockgefrorenen Ribosomen.
Das mag paradox klingen, denn schockgefrorene Ribosomen können sich selbstverständlich nicht mehr bewegen. „Der Trick ist, dass wir die Ribosomen zunächst in Lösung zum Arbeiten bringen. Durch extrem schnelles Einfrieren zu verschiedenen Zeitpunkten können wir dann die molekulare Maschinerie während unterschiedlicher Arbeitsschritte stoppen. Das Elektronenmikroskop liefert uns mit diesen Proben eine Serie von Aufnahmen der Ribosomen während verschiedener Phasen der Proteinproduktion, bei denen sich die Ribosomen in ihrer räumlichen Struktur unterscheiden“, erklärt Stark.
50 Ribosomen-Strukturen aus mehr als zwei Millionen Bildern
Der Nachwuchswissenschaftler Niels Fischer hat dazu mehr als zwei Millionen elektronenmikroskopische Bilder der Ribosomen bei der Arbeit aufgenommen und mit aufwändigen Computeralgorithmen nach ihrer Ähnlichkeit in Gruppen sortiert. Diese Gruppen entsprechen den verschiedenen Arbeitsschritten der Proteinfabrik während der Proteinproduktion. Im nächsten Schritt erfolgten die computergestützten Berechnungen der dreidimensionalen Strukturen dieser Ribosomen-Gruppen. Diese Strukturen wurden schließlich so sortiert, dass die Reihenfolge der Bilder die dynamischen Abläufe am Ribosom wiedergibt.
Der Erfolg: 50 Strukturen des Ribosoms in verschiedenen Zuständen der Proteinsynthese zeigen den Forschern, welchen Weg Aminosäure-Transporter – so genannte Transfer-Ribonukleinsäuren (tRNAs) – während der Proteinproduktion durch das Ribosom nehmen. Wie ein Fließband wird die Matrize für die Proteinsynthese, die Boten-Ribonukleinsäure (mRNA), durch das Ribosom hindurchgeschleust. Dabei wird das fadenförmige mRNA-Molekül in Schritten von jeweils drei Nukleinsäurebasen abgetastet.
Die Tripletts werden von den passenden tRNAs abgelesen, die eine bestimmte Aminosäure binden. Die Aminosäuren werden nacheinander zu einer Kette zusammengesetzt und ergeben schließlich, so die Forscher, ein neues Proteinmolekül. Haben die tRNAs ihre Aminosäure-Fracht am Ribosom „abgeliefert“, werden sie freigesetzt.
tRNAs auf ihrem Weg durch das Ribosom „zusehen“
„Wir können den Weg der tRNAs durch das Ribosom Schritt für Schritt verfolgen und beobachten, wie die Bewegungen der tRNAs mit den dynamischen Veränderungen des Ribosoms gekoppelt sind“, sagt Fischer. „Eine Analyse dieser Kopplungen zeigt, dass Nanomaschinen wie das Ribosom anders funktionieren als mechanisch gekoppelte Maschinen in unserem Alltag. Spontane Bewegungen des Ribosoms und der tRNA-Moleküle sind dort nur relativ schwach gekoppelt“, ergänzt Rodnina.
Mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie lässt sich nicht nur eine molekulare Maschine in Aktion sichtbar machen, sondern sogar bei Körpertemperatur untersuchen. Werden Ribosomen bei entsprechender Temperatur zum Arbeiten gebracht, lässt sich ihr Zustand durch schnelles Einfrieren in flüssigem Ethan konservieren. „Unsere Arbeiten haben gezeigt, dass die strukturelle Dynamik des Ribosoms bei 37 Grad Celsius erheblich zunimmt. Das Ribosom kann thermische Energie direkt in Bewegung umsetzen. Die bei physiologischen Bedingungen verfügbare thermische Energie ist für das Ribosom völlig ausreichend, um alle Bewegungen auszuführen, die für die Proteinproduktion erforderlich sind“, erklärt Stark.
Einzigartige Einblicke in die Funktionsweise zellulärer Maschinen
Die Art und Weise, wie große molekulare Maschinen bei physiologisch relevanten Temperaturen arbeiten, können momentan nur mit der Kryo-Elektronenmikroskopie beobachtet werden. Die Methode verspricht daher einzigartige neue Einblicke in die Funktionsweise zellulärer Maschinen.
Die Arbeitsweise des Ribosoms im Detail zu kennen, ist auch für die Medizin von großer Bedeutung. Bestimmte Antibiotika wirken deshalb so erfolgreich, weil sich Ribosomen von Bakterien und höheren Organismen in wichtigen Details unterscheiden. Solche Antibiotika hemmen nur die bakterielle Proteinfabrik, die Ribosomen höherer Zellen dagegen bleiben verschont. Ein genaues Verständnis der Struktur und Funktion des Ribosoms ist daher unerlässlich, um zukünftig neue Antibiotika entwickeln zu können, so die Wissenschaftler.
(MPG, 15.07.2010 – DLO)