Leben in Zeitlupe: Der Quastenflosser ist nicht nur extrem urtümlich, er lebt auch fünfmal länger als bislang gedacht. Die Fische werden bis zu 100 Jahre alt und sind damit echte Methusalems der Fischwelt. Entdeckt haben Forscher dies anhand von bisher übersehenen Jahresringen in den Schuppen des Quastenflossers. Diese enthüllen auch, dass die „lebenden Fossilien“ erst im Alter von rund 50 Jahren geschlechtsreif werden und eine Schwangerschaft fünf Jahre dauert – so lang wie bei keinem anderen Fisch.
Der Quastenflosser hat sein Äußeres seit rund 400 Millionen Jahren kaum verändert und gilt daher landläufig als „lebendes Fossil“. Dass diese bis zu zwei Meter langen, massigen Fische überhaupt bis heute überlebt haben, entdeckte man erst 1938. Bis dahin galten sie als ausgestorbene Vorfahren der Landwirbeltiere. Inzwischen haben Wissenschaftler auch das Genom des urtümlichen Knochenfischs entschlüsselt und dabei festgestellt, dass der Quastenflosser überraschend viele neue Gene angesammelt hat – wozu, ist unbekannt.
Wie alt können Quastenflosser werden?
Jetzt sorgt der Quastenflosser erneut für Erstaunen. Denn wie ein Team um Kélig Mahé vom französischen Meeresforschungsinstitut IFREMER herausgefunden hat, wird der urtümliche Fisch weit älter als gedacht. Bisher wurde das Alter der wenigen untersuchten Exemplare anhand von ringförmigen Einkerbungen in ihren Schuppen bestimmt, den sogenannten Makro-Zirkuli. Diese galten ähnlich wie bei anderen Fischen als eine Art Jahresringe und legten nahe, dass die Quastenflosser zwölf bis maximal 20 Jahre alt werden.
Das Merkwürdige jedoch: Sollte dies stimmen, dann müssten die Quastenflosser zu den am schnellsten heranwachsenden Fischen gehören. Das aber steht im Widerspruch zu ihrem langsamen Stoffwechsel, einer geringen Fortpflanzungsrate und der eher trägen Lebensweise. „Diese Diskrepanzen haben uns dazu bewogen, die Altersbestimmung und Wachstumsrate der Fische noch einmal zu überprüfen“, erklären Mahé und seine Kollegen.
Zwischenringe verraten das wahre Alter
Für ihre Studie unterzog das Team 27 Quastenflosser und ihre Schuppenstrukturen einer Neuanalyse. Die Größen- und Alterspanne reichte von 30 Zentimeter langen Embryos bis zu einem 1,80 Meter langen ausgewachsenen Tier. Alle Exemplare stammten aus der Sammlung des Nationalen Naturkundemuseums in Paris.
Bei der Untersuchung der Quastenflosser-Schuppen im polarisierten Licht entdeckten die Wissenschaftler etwas Neues: Zwischen den Makro-Zirkuli versteckten sich weitere Ringstrukturen. Im Schnitt lagen fünf dieser Zirkuli zwischen zwei Makro-Zirkuli. „Diese Ringe bestehen aus abwechselnd durchscheinenden und opaken Bändern, die auf Wachstumsschwankungen hindeuten“, erklären Mahé und seine Kollegen. Weitere Analysen bestätigten diese Annahme.
Methusalems der Meere
Demnach verraten nicht die Makro-Zirkuli das wahre Alter eines Quastenflossers, sondern die zwischen ihnen liegenden Zirkuli. Anhand dieser neuen Jahresringe ergeben sich auch für die Altersschätzung der 27 untersuchten Exemplare ganz neue Werte, wie das Forschungsteam berichtet: Der größte dieser Quastenflosser war schon 84 Jahre alt und selbst die beiden noch nicht geborenen Embryos brachten es auf das stolze Alter von fünf Jahren.
Das aber bedeutet: „Die maximale Lebensdauer der Quastenflosser ist fünfmal länger als zuvor gedacht – sie liegt bei etwa einem Jahrhundert“, sagt Mahé. Das macht diesen Fisch in doppelter Hinsicht zu einem Methusalem der Meere: Er ist ein Relikt der Urzeit und einer der langlebigsten bisher bekannten Fische.
Geschlechtsreif erst mit rund 50 Jahren
Aus der langen Lebensdauer des Quastenflossers ergibt sich eine weitere neue Erkenntnis: Dieser urtümliche Fisch wächst extrem langsam heran und lebt gewissermaßen in Zeitlupe, wie Mahé und seine Kollegen feststellten. Bis ein Quastenflosser-Männchen eine Länge von mehr als 1,20 Metern erreicht und geschlechtsreif wird, vergehen demnach 40 bis 69 Jahre, die größeren Weibchen sind sogar erst im Alter von 58 bis 66 Jahren so weit.
Selbst die Embryos lassen sich für ihre Entwicklung Zeit: Nach Schätzungen des Teams sind die beiden noch vor ihrer Geburt gestorbenen Embryos der Sammlung schon rund fünf Jahre alt. Zwei weitere Jungfische, die kurz nach ihrer Geburt starben, könnten schon neun und zwölf Jahre alt sein. „Das spricht dafür, dass die Trächtigkeit der Quastenflosser mindestens fünf Jahre dauerte“, so Mahé und seine Kollegen. Damit wäre der Quastenflosser das Wirbeltier mit der längsten Tragzeit. Der bisherige Rekordhalter, der in der Tiefsee lebende Kragenhai, kommt auf „nur“ drei Jahre.
Noch gefährdeter als gedacht
Die langsame Entwicklung des Quastenflossers und sein Leben in Zeitlupe haben für diesen Fisch offenbar schon seit Jahrmillionen Vorteile – unter anderem lebt er besonders energiesparend und kommt mit wenig Futter aus. Heute jedoch könnte ihm genau diese langsame Lebensweise zum Verhängnis werden. „Langlebige Arten mit geringer Fruchtbarkeit sind dafür bekannt, besonders anfällig gegenüber natürlichen und anthropogenen Störungen zu sein“, erklärt Mahé.
Wird die Populationen einer solchen Spezies dezimiert, kann sie wegen ihrer geringen Fortpflanzungsrate die Verluste kaum mehr ausgleichen. Schon jetzt gelten die Quastenflosser als vom Aussterben bedroht. „Unsere Ergebnisse deuten jetzt daraufhin, dass diese Fische noch bedrohter sein könnten als erwartet“, so Mahé. „Diese Informationen über die Biologie und Entwicklung des Quastenflossers sind daher auch für seinen Schutz essenziell.“ (Current Biology, 2021; doi: 10.1016/j.cub.2021.05.054)
Quelle: Cell Press