Genetik

Quastenflosser verblüfft Forscher

"Lebendes Fossil" hat überraschend viele neue Gene innerhalb kurzer Zeit erworben

Quastenflosser
Der Quastenflosser Latimeria chalumnae ist nicht nur sehr alt und extrem selten, sein Erbgut hat auch eine überraschende Ergänzung erhalten. © Gryffindor/CC-by-sa 3.0

Von wegen lebendes Fossil: Auch wenn das Äußere des Quastenflossers seit 400 Millionen Jahren nahezu unverändert geblieben ist – für seine Gene gilt dies nicht, wie nun ein DNA-Vergleich enthüllt. Allein in den letzten zehn Millionen Jahren hat der Quastenflosser demnach gleich 62 neue Gene angesammelt. Der urtümliche Fisch besitzt damit mehr dieser von Transposons stammenden Gene als viele andere Organismen. Welche Funktion sie bei ihm haben, ist aber noch ungeklärt.

Der Quastenflosser galt lange als ausgestorben, denn man kannte diesen großen Fisch mit den stämmigen, fast beinähnlichen Flossen nur aus Fossilfunden. Doch 1938 wurde erstmals ein lebendes Exemplar entdeckt – und dieser Quastenflosser sah überraschenderweise noch so aus wie seine Vorfahren vor rund 400 Millionen Jahren. Latimeria chalumnae und die 1976 entdeckte zweite Art Latimeria menadoensis gelten daher als lebende Fossilien. Daran änderte sich auch wenig, als Forscher 2013 erstmals das Genom dieses Ur-Fisches entschlüsselten.

Transposon-Fahndung im Erbgut

Doch jetzt haben Forscher zahlreiche Gene im Erbgut des Quastenflossers identifiziert, die die These vom lebenden Fossil in Frage stellen. Entdeckt haben dies Isaac Yellan von der University of Toronto und seine Kollegen durch einen Zufall. Denn eigentlich waren sie einem Gen auf der Spur, das sich auch im menschlichen Erbgut findet. Von diesem CGGBP1-Gen war bekannt, dass es ursprünglich über ein Transposon in unser Genom gelangt sein muss.

Diese Transposons gelten als eigennützige DNA-„Parasiten“, deren einziger Zweck es ist, sich selbst im Erbgut ihres Trägers zu vermehren. Oft sind diese springenden Gene nutzlos und zerfallen mit der Zeit zu DNA-Müll. Einige von ihnen können ihrem Träger aber auch Vorteile verschaffen und bleiben dann im Erbgut erhalten. Für ihre Studie haben Yellan und seine Kollegen untersucht, in welchen Lebewesen das CGGBP1-Transposon noch vorkommt, um seinen evolutionären Ursprung zu rekonstruieren. Dafür suchten sie im Erbgut von verschiedensten Organismengruppen nach ähnlichen DNA-Abfolgen.

Genschwemme beim Quastenflosser

Tatsächlich wurden die Forscher fündig – allerdings auf unerwartete Weise. Denn das Gen kommt nicht etwa in bestimmten Stammeslinien gehäuft vor, sondern ist scheinbar willkürlich quer über das Organismenreich verteilt. Neben Säugetieren, Vögeln und Reptilien fanden die Wissenschaftler das Gen auch bei einigen Fischen und einem primitiven Pilz, aber nicht bei Würmern, Mollusken oder den meisten Insekten.

Noch überraschender jedoch: Der Quastenflosser trägt gleich 62 Varianten dieses Transposon-Gens in seinem Erbgut, wie die Analysen enthüllten. „Es war überraschend, dass unter den Wirbeltieren ausgerechnet die Quastenflosser als diejenigen mit den meisten dieser Gene herausstachen“, sagt Yellan. Denn von den Urfischen nahm man bislang eine auch genetisch extrem langsame Evolution an.

Erst kürzlich von anderen Spezies erworben

Doch den neuen Daten zufolge erscheint dies nun unwahrscheinlich. „Der Quastenflosser mag sich langsamer entwickelt haben, aber er ist ganz sicher kein Fossil“, sagt Yellan. Denn die 62 Gene müssen im Verlauf der letzten zehn Millionen Jahre ins Erbgut des urtümlichen Fisches gelangt sein, wie die Forscher erklären. Damit kann er diese Gene nicht von seinen Vorfahren geerbt haben.

Woher aber kommen sie dann? Die Wissenschaftler vermuten, dass diese Transposon-Gene über einen horizontalen Gentransfer in den Quastenflosser und andere Tiere gelangt sind – möglicherweise über Viren und Bakterien. Durch diese Überträger können die springenden Gene auch Artgrenzen überwinden und sich im Erbgut neuer „Wirte“ ausbreiten. Von wem diese Transposons im Quastenflosser-Genom jedoch ursprünglich kamen, bleibt vorerst rätselhaft.

Funktion der Gene noch rätselhaft

Ebenfalls unbekannt ist bislang, ob diese Gene im Quastenflosser aktiv sind und was sie bewirken. „Wir wissen nicht, was diese 62 Gene tun, aber viele von ihnen kodieren DNA-bindende Proteine und spielen daher wahrscheinlich eine Rolle bei der Genregulation“, erklärt Yellans Kollege Tim Hughes. Nähere Analysen ergaben zudem, dass diese Gene je nach Gewebe und Organ im Quastenflosser mal aktiv und mal abgeschaltet sind. Ihre Funktion könnte demnach gewebespezifisch sein.

Die Existenz dieser Gene im Erbgut des Quastenflossers demonstriere aber, welch dramatischen Einfluss Transposons auf das Erbgut von Organismen haben können, so die Forscher. „Unsere Funde liefern ein ziemlich erstaunliches Beispiel dafür, wie Transposons zum Wirtsgenom beitragen können“, sagt Hughes. Was diese Transposon-Gene im Quastenflosser jedoch tatsächlich tun und woher sie kommen, muss nun weiter erforscht werden. (Molecular Biology and Evolution, 2021)

Quelle: University of Toronto

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