Biologie

Rabiater Sex: Stirnspritze als Paarungshilfe

Meeresschnecke bohrt ihren Gegenüber eine Sekretspritze direkt zwischen die Augen

Meeresschnecken der Gattung Siphopteron bei der Kopulation, fast durchsichtig ist der Penis-Speer zu erkennen, der in Richtung Kopf des Partners zeigt. © Johanna Werminghausen

Bizarre Sexpraktiken sind bei Schnecken nichts Ungewöhnliches. Jetzt aber hat ein deutsch-australisches Forscherteam eine besonders rabiate Variante entdeckt: Winzige Meeresschnecken der Gattung Siphopteron stoßen ihrem Partner ein Loch in die Stirn und injizieren ihm Prostatasekret direkt zwischen die Augen. Das sei ein bisher einzigartiger Fall einer traumatischen Paarung, konstatieren die Biologen im Fachmagazin „Proceedings of the Royal Society B.

Das Tierreich ist bekannt für seine Vielfalt an oftmals bizarren Fortpflanzungsstrategien. Vor allem die zwittrigen Schnecken sind da besonders variantenreich. Einige bohren ihren Partnern speerähnliche Liebespfeile in den Körper, andere seilen sich gemeinsam an einem Schleimfaden ab oder verdrillen ihre Geschlechtsteile spiralförmig miteinander. Dass es dabei nicht immer sehr zart zugeht, ist schon länger bekannt. Forscher bezeichnen die Extreme dieser Art sogar sehr passend als traumatische Paarung.

„Das passiert, wenn Fortsätze des Männchens die Körperhülle des Weibchen während der Kopulation durchbohren, egal, ob dies der Empfängerin schadet oder nicht“, erklären Rolanda Lange von der Universität Tübingen und ihre Kollegen. Meist dient dieses Durchbohren gar nicht der eigentlichen Paarung, also der Übertragung von Spermien, sondern findet parallel dazu statt. Injiziert wird dabei meist ein Drüsensekret, das beim Weibchen hormonähnliche Wirkungen auslöst.

Injektion direkt zwischen die Augen

Ein besonders rabiates Beispiel einer solchen traumatischen Paarung haben die Forscher nun bei Meeresschnecken der Gattung Siphopteron entdeckt. Diese nur rund fünf Millimeter kleinen Nacktschnecken sind Zwitter. Sie paaren sich, indem jeder der Partner seinen Penis in den Samenbehälter seines Gegenübers einführt. Das aber ist noch nicht alles: Als die Forscher einige Vertreter dieser Gattung im Labor bei der Paarung beobachteten, wurden sie Zeugen einer besonders bizarren Sexvariante.

In den Kopf gebohrt: Der fast durchsichtige Penis-Anhang sitzt hier genau zwischen den Augen des Partners. Wie eine Injektionskanüle überträgt er Prostatasekret in die Haut des Partners. © Johanna Werminghausen

Bei einer der Siphopteron-Arten bohrte der eine Partner dem anderen seinen speerähnlichen Penis-Anhang direkt zwischen die Augen. Wie sich bei Untersuchungen herausstellte, injizierte er dabei seinem Gegenüber ein Prostata-Sekret. „Das ist das erste Beispiel einer traumatischen Paarung, bei der Drüsensekrete direkt in den Kopf des Partner injiziert werden“, berichten Lange und ihre Kollegen. Diese Schneckenart unterscheide sich damit drastisch von allen anderen bekannten, die solche Sekrete meist in der Nähe der Geschlechtsorgane übertragen oder in die Bauchhöhle injizieren.

Manipulation des zentralen Nervensystems

Welche Wirkung diese Sekretübertragung hat, konnten die Forscher noch nicht eindeutig feststellen. Von anderen Schneckenarten ist aber schon bekannt, dass deren Prostatasekrete hormonähnlich wirkende Substanzen enthalten. Die Injektion zwischen die Augen könnte daher ein besonders sensibles Organ anvisieren, so die Vermutung. Denn es transportiert das Prostatasekret direkt in die Nähe des zentralen Nervensystems ihres Partners.

Die in den Sekreten enthaltenen bioaktiven Proteine könnten die Funktion der Neuralganglien beeinflussen und so die Fortpflanzung des Partners manipulieren. Beispielsweise indem sie die Eiablagerate erhöhen oder den Befruchtungserfolg der frisch übertragenen Spermien optimieren. Eine solche neuro-physiologische Manipulation sei auch von vielen Parasiten bekannt. Allerdings: Bei den Meereschnecken beruht diese Manipulation auf Gegenseitigkeit. Denn bei ihrer rabiaten Paarung verpassen sich beide Partner gegenseitig die Kopfinjektion. (Proceedings of the Royal Society B, 2013; doi: 10.1098/rspb.2013.2424)

(Universität Tübingen, 13.11.2013 – NPO)

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