Genetik

Rätsel des männlichen X-Chromosoms gelöst

Proteinkomplex ist für stärkere Aktivität des zwillingslosen X-Chromosoms verantwortlich

Männer haben einen entscheidenden Nachteil: Sie besitzen nur ein X-Chromosom. Halbwegs ausgeglichen wird dies dadurch, dass dieses X aktiver ist als „normale“ Chromosomen. Wie diese Regulation geschieht, haben jetzt amerikanische Forscher erstmals in „Nature“ enthüllt: Ein bestimmter Proteinkomplex sorgt dafür, dass das Ableseenzym auch an den Enden des Chromosoms in unverminderter Aktivität arbeiten kann.

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Was macht einen Mann aus? Sein Auto? Seine Kleidung? Sein Verhalten? Alles falsch. Die eigentliche Antwort liegt in den Zellkernen seines Körpers verborgen. Dass ein Mann ein Mann wird, wird bestimmt durch das letzte Chromosomenpaar: Finden sich hier zwei X-Chromosomen entwickelt sich eine Frau, kommt zum X aber stattdessen ein Y-Chromosom, wird es ein Mann. Doch das ist noch nicht alles: Damit das genetische Gleichgewicht stimmt, muss bei den Frauen eines der beiden X-Chromosomen stillgelegt, bei Männern das einzige X-Chromosom aktiviert werden.

Rätsel um stärkere Aktivierung des männlichen X

Schon seit einiger Zeit vermuten Wissenschaftler, dass ein Proteinkomplex, das so genannte MSL, eine zentrale Rolle für die Regulation des männlichen X-Chromosoms spielt. Der Name MSL leitet sich ab von „male specific lethal“ weil eine Mutation dieses Komplexes für männliche Fruchtfliegen tödlich ist. Wie dieses MSL es allerdings schafft, das ganze Chromosom und damit viele unterschiedliche Gene gleichzeitig zu aktivieren, war bisher unbekannt.

Um dies herauszufinden, führte ein Forscherteam der Harvard Medical School und der Brown Universität unter Leitung von Erica Larschan, Experimente an Fruchtfliegen durch. Mit Hilfe der so genannten “global run-on” Sequenzierung ermittelten die Wissenschaftler, wie viel von dem Enzym RNA-Polymerase II im X-Chromosom aktiv ist und verglichen dies mit den Werten der „normalen“ Chromosomen. Dieses Enzym wandelt den Code der DNA in RNA-Stränge um und ist damit essenziell für das Ablesen der Gene.

Mehr Ablese-Enzym am Ende des Chromosoms

Das Ergebnis war überraschend: Bis zu einem bestimmten Punkt fand sich an allen Chromosomen die gleiche Enzymmenge. Doch während die Polymerase bei den „normalen“ Chromosomen zu den Enden hin allmählich ausdünnte, war dies bei dem männlichen X-Chromosom nicht der Fall. Irgendetwas schien dort das Ausdünnen zu verhindern, so dass sich an den Enden mehr Enzym fand als normal. Aber was?

In einem weiteren Versuch konnte die Forscher belegen, dass der entscheidende Faktor dafür der Proteinkomplex MSL ist: Blockierten sie ihn, konnte die Polymerase auch bei den männlichen X-Chromosomen nicht weiter zu den Enden hin vordringen. Nähere Forschungen zeigten, dass das MSL dabei eine Art Bohrkopf wirkt: Es spreizt mehr Bereiche der DNA-Helix auf und erleichtert dem Enzym so den Zugang.

„Lange Zeit dachten die Leute, dass der Großteil dieser Regulation am Beginn eines Gens geschieht“, erklärt Larschan. „Aber dies ist ein neuer Schritt, der zum Nachdenken anregt. MSL reguliert offensichtlich den Zugang der Polymerase zum Rest des Gens.“ Diese neue Entdeckung verändert nicht nur die Sicht auf die Genetik des männlichen X-Y-Paares, sie könnte langfristig auch helfen, neue Ansätze für genetisch bedingte Krankheiten zu finden.

(Brown University, 04.03.2011 – NPO)

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