Neurobiologie

Rätsel um Baby-Illusion gelöst

Warum scheinen ältere Kinder plötzlich zu wachsen, sobald das nächste Kind geboren wird?

Ist das zweite Kind geboren, erscheint uns das erste plötzlich viel größer als vorher. © SXC

Rätselhafter Effekt: Ohne es zu wollen, sehen wir unser jeweils jüngstes Kind anders als seine älteren Geschwister. Dieser Effekt geht so weit, dass Mütter sogar die Größe ihres Nesthäkchens systematisch unterschätzen, wie australische Forscher jetzt herausfanden. Der Grund dafür ist eine unbewusste Verzerrung unserer Wahrnehmung – die sogenannte „Baby-Illusion“.

Nach der Geburt ihres zweiten Kindes berichten Eltern oft, dass ihr Erstgeborenes plötzlich gewachsen ist, und quasi über Nacht größer und älter geworden zu sein scheint. Immerhin rund 70 Prozent der fast 750 Mütter, die Jordy Kaufman und ihre Kollegen von der Swinburne University of Technology in Australien, im Rahmen ihrer Studie befragten, hatten diese Erfahrung gemacht. Aber warum? Eine mögliche Erklärung wäre, das es einfach der Kontrast ist: Im Vergleich zum winzigen Neugeborenen wirkt das Kleinkind sehr groß.

Theoretisch käme aber noch ein weiterer, sehr viel spannenderer psychologischer Effekt in Betracht: die sogenannte „Baby Illusion“. Diese sorgt dafür, dass wir das jeweils jüngste Kind, unabhängig von seinem Alter, immer als kleiner und jünger empfinden als es tatsächlich ist. Aber welche Erklärung stimmt? Kaufman und ihre Kollegen haben dies nun in einem Experiment nachgeprüft. Dafür ließen sie Mütter die Größe ihrer älteren und jüngeren Kinder schätzen: Sie sollten – in Abwesenheit des Kindes – eine Markierung an einer Wand in entsprechender Höhe anbringen.

Um 7,5 Zentimeter unterschätzt

„Die Ergebnisse waren verblüffend“, berichten die Forscher: Die Mütter lagen bei der Größenschätzung der jüngeren Geschwisterkinder systematisch zu niedrig – immerhin im Durschnitt 7,5 Zentimeter. Bei ihren Erstgeborenen dagegen trafen ihre Schätzungen die tatsächliche Körpergröße meist ziemlich genau. Die Unterschätzung der jüngeren Kinder war dabei unabhängig von deren Alter – die Mütter hielten sowohl als Babys als auch bereits ältere Letztgeborene systematisch für kleiner als sie wirklich waren, wie Kaufman und ihre Kollegen berichten.

„Diese Fehleinschätzung passiert demnach nicht, weil das ältere Kind einfach größer aussieht im Vergleich zum Baby“, erklärt Kaufman. „Stattdessen deutet alles darauf hin, dass wir unbewusst unsere jeweils jüngsten Kinder behandeln, als wenn sie kleiner und jünger wären als sie wirklich sind.“ Biologisch gesehen macht das durchaus Sinn: Denn die Baby-Illusion sorgt dafür, dass Eltern gegenüber dem Kind am aufmerksamsten und fürsorglichsten sind, das dies auch nötig hat – weil es eben das jüngste ist und daher noch am meisten hilfsbedürftig.

Wahrnehmung ist weniger objektiv als wir glauben

Diese Illusion wird erst durchbrochen, wenn ein neues Kind geboren wird und die Eltern dann ihr älteres Kind plötzlich realistischer sehen. Denn dann fordert das neue, jüngste Kind ihre erhöhte Fürsorge und Aufmerksamkeit. „Mütter, die alarmiert sind, weil ihr älteres Kind plötzlich über Nacht größer und älter scheint, sind daher in guter Gesellschaft“, so die Wissenschaftler.

Ihrer Ansicht nach zeigt dies aber auch, wie subjektiv wir die Welt um uns herum wahrnehmen und einschätzen. „Wir können der Genauigkeit unserer Wahrnehmung nicht trauen. In diesem Falle zeigt sich, dass unsere Gefühle und das Wissen über unsere Kinder beeinflusst, wie wir sie sehen“, erklärt Kaufman. Die Ergebnisse erinnern uns daran, wie gefiltert selbst unsere vermeintlich objektiven Sinneseindrücke sein können. (Current Biology, 2013)

(Cell Press, 02.01.2014 – NPO)

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