Woher kam Ekgmowechashala? Vor 30 Millionen Jahren gab es in Nordamerika nur noch einen einzigen Vertreter der nichtmenschlichen Primaten – alle anderen waren vier Millionen Jahre zuvor ausgestorben. Warum der Ekgmowechashala getaufte Primat überdauerte und woher er kam, haben nun Paläontologen aufgeklärt. Demnach war dieser Primat kein Überlebender der Aussterbewelle, sondern ein Nachzügler: Er wanderte – wie später die ersten Menschen – über die Bering-Landbrücke nach Nordamerika ein.
Im Eozän, vor rund 56 bis 35 Millionen Jahren, herrschte in Nordamerika ein mildes, teilweise tropisches Klima. In den üppigen Wäldern des Kontinents lebten verschiedene Primatenarten, darunter frühe Verwandte der heutigen Lemuren. Doch vor 34 Millionen Jahren änderte sich das Klima, es wurde kälter und trockener. Als Folge verloren die Ur-Primaten ihren Lebensraum und starben aus. Vier Millionen Jahre lang gab es in Nordamerika keine Primaten mehr.
Ein Sonderling aus dem Nichts
Dann jedoch, vor rund 30 Millionen Jahren, tauchte plötzlich eine neue Primatenart auf – wie aus dem Nichts: Ekgmowechashala, ein lemurenähnliches, nur rund 30 Zentimeter großes Tier, dass sich seinen Zähne zufolge hauptsächlich von Früchten ernährte. „Dieser Primat ist ein echter Sonderling im nordamerikanischen Fossilbestand: Er erscheint mehr als vier Millionen Jahre nach dem Aussterben aller anderen nordamerikanischen Primaten“, sagt Erstautorin Kathleen Rust von der University of Kansas.
Woher Ekgmowechashala damals so plötzlich kam und wie er das Aussterben überleben konnte, ist seit dem Fund der ersten fossilen Zähne dieses Ur-Primaten in den 1980er Jahren ein Rätsel. „Aufgrund seiner einzigartigen Morphologie und der Tatsache, dass wir bisher nur Zähne von ihm gefunden haben, ist seine Position im Säugetier-Stammbaum umstritten“, erklärt Rust. Heiß debattiert wird auch, ob Ekgmowechashala als einziger das Aussterben seiner Verwandten überlebte oder ob er vielleicht erst nachträglich einwanderte.
Ur-Primat aus China mit verblüffenden Ähnlichkeiten
Jetzt liefert die Entdeckung eines fossilen Ur-Primaten in China einige Antworten. Bei Ausgrabungen in der Provinz Guangxi stießen die Paläontologen auf Kieferknochen und Zähne, die denen des rätselhaften Ekgmowechashala erstaunlich ähnelten, aber mehrere Millionen Jahre älter waren. Sie stammten von einem Palaeohodites naduensis getauften Ur-Primaten, der schon im späten Eozän lebte – vor der weltweiten Abkühlung des Klimas. „Wir hätten nie erwartet, dass wir dort ein Tier finden würden, das dem seltsamen Primaten aus Nordamerika so ähneln würde“, sagt Rusts Kollege Chris Beard.
Doch bedeutet dies auch dass diese beiden Ur-Primaten enger miteinander verwandt waren? Um das herauszufinden, führten die Paläontologen eine umfangreiche Vergleichsanalyse aller Merkmale der bisher bekannten Primatenarten durch. „Wir sammelten dafür eine Menge morphologische Daten, um mithilfe eines phylogenetischen Algorithmus den evolutionären Stammbaum zu rekonstruieren“, erklärt Rust.
Kam Ekgmowechashala aus Asien?
Das Ergebnis: „Der rekonstruierte Stammbaum spricht für eine enge evolutionäre Beziehung zwischen dem nordamerikanischen Ekgmowechashala und Palaeohodites aus China“, sagt Rust. Demnach gehört der chinesische Primat zur selben Unterfamilie wie Ekgmowechashala – er war ein früher Verwandter von Ekgmowechashala. „Palaeohodites ist der erste Vertreter der Ekgmowechashalinae in Asien und der einzige fossile Primat überhaupt, der zahlreiche Zahnmerkmale mit Ekgmowechashala teilt“, erklärt das Team
Was aber bedeutet dies für den Ursprung des nordamerikanischen Rätsel-Primaten? Nach Ansicht der Paläontologen sprechen der zeitliche Ablauf und die enge Verwandtschaft der beiden Primatenarten dafür, dass Ekgmowechashala sich nicht in Nordamerika entwickelt hat und auch kein Überlebender des dortigen Primaten-Aussterbens war. „Stattdessen handelte es sich um eine Einwanderer-Art, die in Asien entstand und dann nach Nordamerika einwanderte – wahrscheinlich über die Bering-Landbrücke“, sagt Rust.
Zwischen Ur-Primaten und den ersten Menschen
Diesem Szenario zufolge nutzte Ekgmowechashala das mildere Klima in Südasien, um den globalen Kälteeinbruch vor 34 Millionen Jahren zu überdauern. „Unsere Resultate unterstreichen damit die fundamentale Rolle des südlichen Asiens als Refugium für viele Primatenarten während des kühleren und trockeneren Klimas am Übergang vom Eozän zum Oligozän“, schreiben die Paläontologen. Als dann vor rund 30 Millionen Jahren die Kälte allmählich nachließ, wanderte Ekgmowechashala über die damals freiliegende Bering-Landbrücke nach Nordamerika ein.
Der urzeitliche Primat nahm damit dieselbe Route, die rund 30 Millionen Jahre später die ersten menschlichen Primaten auf dem Weg nach Nordamerika nahmen. Ihre Ankunft läutere damit das dritte Kapitel der Primatengeschichte auf diesem Kontinent ein – nach den Ur-Primaten des Eozäns und dem eingewanderten Sonderling Ekgmowechashala. (Journal of Human Evolution, 2023; doi: 10.1016/j.jhevol.2023.103452)
Quelle: University of Kansas