Archäologie

Rätsel um Vorfahren der Amazonasvölker

Drei Amazonasstämme sind überraschend eng mit Aborigines und Melanesiern verwandt

Eine Frau der Xavante. Sie trägt Gene in sich, die vor Vorfahren aus Australien oder Melanesien stammen. © Agência Brasil

Rätselhafte Ahnen: Drei Stämme im Amazonasgebiet sind unerwartet eng mit Aborigines und Melanesiern verwandt – enger als mit allen anderen amerikanischen Ureinwohnern, wie Genanalysen enthüllen. Das aber bedeutet, dass vor tausenden von Jahren nicht nur die Urahnen der Indianer über die Beringstraße einwanderten, sondern auch eine Volksgruppe aus Südostasien. Wer diese Menschen waren und warum ihre Nachfahren nur noch im Amazonasgebiet zu finden sind, ist rätselhaft, wie Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.

Die Vorgeschichte der amerikanischen Ureinwohner ist komplex – und gibt noch immer Rätsel auf. Es scheint zwar klar, dass ihre Vorfahren einst über die Beringstraße nach Nordamerika gezogen sind. Woher diese Vorfahren aber kamen, ist umstritten, verschiedenen Genanalysen nach könnte es der Altai, oder sogar der europäische Teil Sibiriens gewesen sein. Letzteres könnte erklären, warum einige Schädel früher Ureinwohner verblüffend europäisch aussehen.

Seltsame Abweichungen

Doch etwas passt nicht ins Bild: Obwohl auch die Indios Südamerikas von den gleichen Einwanderern abstammen sollen wie die nordamerikanischen Indianer, weichen einige von ihnen stark von diesen ab. Einige Volksgruppen in Südamerika ähneln äußerlich überraschend stark den australischen Ureinwohnern und einigen Stämmen auf Melanesien und anderen Inseln Südostasiens. Dies ist vor allem im brasilianischen Amazonasgebiet der Fall.

Pontus Skoglund von der Harvard Medical School in Boston und seine Kollegen sind diesem Rätsel nun auf den Grund gegangen. Sie haben die DNA von 21 Ureinwohnern in Mittel- und Südamerika analysiert und diese mit den Genen von 200 nichtamerikanischen Populationen vergleichen, vor allem mit dem Erbgut von Volksstämmen aus Südostasien.

Genetische Ähnlichkeiten zwischen drei Amazonasvölkern und Australasiern. © Pontus Skoglund/ Harvard Medical School

Verwandt mit Aborigines und Melanesiern

Das Ergebnis überraschte selbst die Forscher. Denn mindestens drei Völker aus dem Amazonasgebiet erwiesen sich als enger mit australisch-asiatischen Populationen verwandt als mit Indianern oder jeder anderen heutigen Menschengruppe. Das aber bedeutet, dass die Surui, Karitinana und Xavante andere Vorfahren haben als alle anderen Indios und Indianer. Ihre Urahnen müssen aus Australien oder Südostasien nach Amerika gelangt sein statt aus Sibirien.

„Das ist unglaublich überraschend“, sagt Seniorautor David Reich von der Harvard Medical School. „Denn auch ich habe bisher geglaubt, dass fast alle amerikanischen Ureinwohner von einem einzigen Ausbreitungs-Ereignis abstammen – und das ist offensichtlich falsch.“ Seltsam auch: Die rätselhaften Vorfahren der drei Amazonasstämme hinterließen nur bei diesen ihr genetisches Erbe, nicht aber bei einer der anderen untersuchten Populationen. „Nur etwa zwei Prozent der heutigen Amazonier geht auf diese australasiatische Linie zurück“, erklärt Reich.

„Population Y“ bleibt rätselhaft

Wer aber waren diese Urahnen der Amazonas-Indianer? Auch das ist bisher rätselhaft. Denn klar ist bisher nur, dass diese Vorfahren sehr alt sind und wahrscheinlich zur gleichen Zeit wie die ersten Einwanderer über die Beringstraße nach Amerika gelangten. „Die geografische Verteilung der von den Amazoniern und Australasiaten geteilten Gene kann nicht durch eine nach-kolumbianische Einwanderung erklärt werden“, so die Forscher.

Aber keine der bisher bekannten Populationen, aus denen die ersten amerikanischen Ureinwohner hervorgingen, kann die seltsame Verwandtschaft der Amazonasstämme erklären. Und Genanalysen der heutigen Bewohner Südostasiens lieferten auch nur wenige Anhaltspunkte: „Wir haben eine Menge Proben in Südostasien genommen, aber keine sieht so aus wie sie“, berichtet Skoglund. „Es ist eine unbekannte Gruppe, die heute offenbar nicht mehr existiert.“

Über die Beringstraße?

Wie aber gelangten diese fernen Vorfahren der drei Amazonasstämme nach Südamerika? Die Forscher gehen im Moment davon aus, dass diese Population Y wohl nicht per Boot direkt an der Pazifikküste des Kontinents anlandete. Stattdessen müssen auch sie über die Beringstraße eingewandert sein – ob zusammen oder getrennt von den Vorfahren der restlichen Indianer ist unklar.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Vorfahren der Ureinwohner Mittel- Und Südamerikas nicht auf eine einzige Einwanderungswelle einer homogenen Bevölkerung zurückgehen, sondern dass es mindestens zwei Ströme von Einwanderern gegeben haben muss“, sagen die Forscher. Vermutlich vermischten sich die Urahnen der drei Amazonasstämme bereits auf ihrem Weg mit den Ahnen der restlichen Indianer und ließen sich dann im Amazonasgebiet nieder.

Warum allerdings nur die drei Völker im Amazonasgebiet heute noch die Gene der australasiatischen Urahnen in sich tragen und kein anderes Indiovolk, bleibt rätselhaft. Auch die genaue Herkunft dieser Population Y muss erst noch ergründet werden. Klar scheint nur: Die Geschichte der amerikanischen Ureinwohner ist weitaus komplexer als bisher angenommen. (Nature, 2015; doi: 10.1038/nature14895)

(Harvard Medical School, 22.07.2015 – NPO)

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