Menschliche Neugeborene können bereits verschiedene Sprachen an ihrem Lautmuster unterscheiden, auch wenn sie den Sinn des Gesprochenen nicht verstehen. Jetzt haben Wissenschaftler entdeckt, dass auch andere Säugetiere, nämlich Ratten und eine Affenart, diese Fähigkeit besitzen.
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Forscher in Barcelona haben dies in Experimenten nachgewiesen, bei denen jeweils 16 Ratten vier unterschiedlichen Versuchsbedingungen ausgesetzt wurden. Sie wurden darauf trainiert, einen Hebel herunter zu drücken, wenn sie entweder einen fünf Sekunden langen Satz auf Niederländisch oder aber Japanisch hörten. Waren sie einmal auf eine der beiden Sprachen „geeicht“, wurde ihre Reaktion auf die jeweils andere Sprache getestet.
Es zeigte sich, dass sie Rhythmus und Intonation beider Sprachen unterscheiden konnten und den Hebel nur für die Sprache drückten, auf die sie zuvor trainiert worden waren. Darüber hinaus konnten sie auf diese Weise nicht nur die bereits bekannten Sätze beider Sprachen unterschieden, sondern auch völlig neue, die sie nie zuvor gehört hatten.
Mit diesem Versuch ist die Fähigkeit zur Sprachenunterscheidung nun auch erstmals bei Nicht-Primaten nachgewiesen worden. Zuvor war sie nur beim Menschen und bei einer Affenart, den Tamarinen belegt. Allerdings hatte die Sprachfertigkeit der Ratten auch ihre Grenzen: Wenn die Sätze von unterschiedlichen menschlichen Stimmen gesprochen wurden, fiel es den Versuchstieren erheblich schwerer, die sprachtypischen Lautmuster zu erkennen. Menschen dagegen können dies bereits im frühesten Säuglingsalter.
Dennoch zeigten sich die Wissenschaftler um Juan Toro überrascht von den Ergebnissen: „Es war erstaunlich festzustellen, dass Ratten bestimmte Informationen registrieren, die sehr wichtig für die Sprachentwicklung beim Menschen sind“, so der Forscher. „Die Studien zeigen, welche Fähigkeiten, die der Mensch für die Sprache nutzt, auch von anderen Tierarten geteilt werden und welche rein menschlich sind. Es gibt auch Hinweise darauf, welche evolutionären Vorstufen die Sprache gehabt haben könnte.“
Toro warnt jedoch davor, anzunehmen, dass die Ratten die Fähigkeit, die sie mit dem Menschen teilen, auch in derselben Weise nutzen: “Ratten haben die Fähigkeit, solche prosodischen Schlüssel zu erkennen nicht gezielt entwickelt. Wahrscheinlicher ist es, dass es als Nebenprodukt anderer Fähigkeiten entstand, die einen evolutionären Nutzen für sie haben. Die Idee, dass Arten bestimmte Strukturen für eine andere Funktion nutzen, als sie ursprünglich entwickelt wurde, ist nicht neu.“ Toro und seine Kollegen nehmen daher an, dass die Spracherkennung eher ein Nebeneffekt einer allgemein guten Wahrnehmung von zeitlichen Abfolgen in gehörten Lauten ist.
(American Psychological Association, 10.01.2005 – NPO)