Emotional empfänglich: Ratten können erkennen, ob ihre Artgenossen Schmerzen haben – und das allein an einem Portrait von deren Gesicht. Die Tiere meiden Bereiche, in denen solche „Schmerzportraits“ zu sehen sind, wie ein Experiment zeigt. Das deutet darauf hin, dass Ratten, ähnlich wie wir Menschen auch, über ihr Gesicht nicht nur Gefühle ausdrücken – sie können den Ausdruck anderer auch interpretieren.
Ratten sind sehr viel intelligenter und auch liebenswerter als ihr Ruf. So helfen sie Artgenossen und erwidern Gefallen ähnlich wie wir Menschen es tun. Und auch in puncto Gefühlen sind sie uns ähnlicher als man glauben möchte: Sie empfinden Reue und verziehen bei Schmerzen das Gesicht. Ob allerdings ihre Artgenossen diese Gesichtsausdrücke zu deuten wissen, das war bisher ungeklärt.
Rattenportraits im Test
Satoshi Nakashima von den NTT Communication Science Laboratories in Kanagawa und seine Kollegen haben dies nun in einem Experiment näher untersucht. Für die Studie fotografierten die Forscher zunächst Ratten mit neutralem Gesichtsausdruck und solche, die wegen eines leichten Elektroschocks am Fuß kurzzeitig unter Schmerzen litten.
Diese Portraits wurden dann in zwei Räume einer Versuchsarena gehängt – in einem nur neutrale, in dem anderen die schmerzvollen Gesichter. Im eigentlichen Test setzten die Forscher dann 104 Ratten nacheinander in die Arena und beobachteten, wie sich die Tiere verhielten. Als Kontrolle wurden bei einigen Durchgängen die Bilder künstlich verwischt oder zerschnitten.
Klare Reaktion
Das Ergebnis: Die Ratten zeigten eine klare Vorliebe für die Räume, in denn die neutralen Rattenportraits hingen. Den Raum mit den schmerzverzerrten Gesichtern ihrer Artgenossen mieden sie dagegen. Bei den verfremdeten Portraits trat dieser Effekt dagegen nicht auf, die Ratten entschieden sich gleich häufig für einen der beiden Räume.
„Das deutet darauf hin, dass Ratten dazu fähig sind, die Gefühle von Artgenossen durch visuelle Signale wahrzunehmen“, konstatiert Nakashima. Bisher wurde das Visuelle bei diesen Tieren weitgehend ignoriert, weil man annahm, sie kommunizieren vor allem durch Düfte, Pheromone und Ultraschall-Laute.
„Der Ausdruck der Gefühle spiegelt bei diesen Tieren nicht bloß unwillkürlich ihren Status wider, er könnte auch eine kommunikative Funktion haben“, fährt Nakashima fort. Ob allerdings die Ratten tatsächlich begriffen, dass der Ausdruck ihrer Artgenossen Schmerz bedeutet, kann dieses Experiment nicht belegen. Die Forscher halten es aber durchaus für möglich – das müssen nun weitere Studien klären. (Royal Society Open Science, 2015; doi: 0.1098/rsos.140381)
(Royal Society Open Science, 01.04.2015 – NPO)