Nagetiergifte in der Hälfte der Testvögel
Insbesondere die Anreicherung von Nagetiergiften erwies sich als sehr hoch: Insgesamt wiesen die Wissenschaftler bei mehr als der Hälfte der Vögel Rodentizide im Lebergewebe nach, in etwa 30 Prozent fanden sie mehr als eines der insgesamt sechs nachgewiesenen Gifte gegen Ratten und Mäuse. Häufig gefunden wurden Blutgerinnungshemmer wie Difenacoum, die gegen Nagetiere in der Land- und Forstwirtschaft und in Städten eingesetzt werden.
„Wir fanden Rodentizid-Rückstände im Lebergewebe von mehr als 80 Prozent der untersuchten Habichte und Rotmilane“, so Badry. Bei gut 15 Prozent beider Arten lagen die Konzentrationen über 200 Nanogramm pro Gramm Körpergewicht, was laut der Forscher ein Hinweis auf eine akute Vergiftung ist. „Bei Seeadlern fanden wir in knapp 40 Prozent unserer Proben Rodentizide in niedrigeren Konzentrationen, während die Akkumulation bei Sperbern und Fischadlern gering oder gleich null war“, berichtet Brady.
Auch Pestizide und Arzneistoffe
Neben den Nagetiergiften wiesen Brady und seine Kollegen auch Arzneistoffe in den toten Greifvögeln nach. In rund 14 Prozent der Vögel identifizierten sie das Schmerzmittel Ibuprofen – besonders häufig kam dieses Medikament in Seeadlern und Habichten vor. Das könnte darauf hindeuten, dass dieses über das Abwasser in Gewässer geschwemmte Arzneimittel vor allem über Fische und andere aquatische Beute aufgenommen wurde, wie die Forscher berichten. Das könnte auch den Nachweis von Antibiotika bei einigen der untersuchten Vögel erklären.
Aber auch Pflanzenschutzmittel identifizierten die Forscher in den Greifvögeln: In zwei Rotmilanen fand sich das seit 2019 verbotene Insektizid Dimethoat und dessen verstoffwechseltes Zwischenprodukt Omethoat. In zwei weiteren Rotmilanen identifizierten die Wissenschaftler das nur noch bis 2021 zugelassene Neonicotinoid Thiacloprid gegen Acker- und Obstschädlinge. Aus der hohen Konzentration dieser Pestizide und einer Aufnahme unmittelbar vor dem Tod der Tiere schließen Brady und sein Team, dass diese Vögel absichtlich vergiftet wurden.
Aas und Stadtnähe erhöhen Risiko
Angesichts der Ergebnisse erscheint es nach Ansicht der Wissenschaftler plausibel, dass die toxischen Substanzen zu sinkenden Überlebensraten insbesondere der am stärksten betroffenen Greifvogelspezies wie der Rotmilane beitragen. Warum manche Arten stärker betroffen sind als andere, erklären die Forscher mit der die Nahrungswahl der Vögel: Regelmäßige Aasfresser wie die Rotmilan kommen demnach wahrscheinlicher mit den Nagetiergiften in Kontakt. Auch die Jagd auf andere Vögel oder ein direkter Zugang zu Rodentizid-Köderboxen könnten für das Ausmaß der angereicherten Gifte verantwortlich zu sein.
Zudem erhöht sich das Risiko einer Vergiftung vermutlich auch, wenn die Vögel in der Nähe von städtischen Lebensräumen leben. Denn Rodentizide werden nicht nur häufig in Ställen oder zur Feldmausbekämpfung und auf forstwirtschaftlichen Nutzflächen gegen Nagetiere eingesetzt, sondern auch in Städten und Kanalisationen. „Es ist für einen Greifvogel wahrscheinlicher, in der Nähe von Städten Rodentiziden ausgesetzt zu sein, aber dies bedeutet nicht automatisch, dass sich diese Substanzen stärker anreichern“, ergänzen die Forscher. Zudem konnten auch in Seeadlern Gifte nachgewiesen werden, die eher menschenferne Lebensräume bevorzugen.
Quellen ausfindig machen
„Unsere Studie zeigt, dass die Rodentizid-Kontamination eine Bedrohung für Raubvögel in Deutschland darstellt“, resümieren Badry und sein Team. Da besonders Aasfresser und in der Stadt lebende Vögel betroffen sind, müssen die Quellen von Rodentiziden entlang der Nahrungskette für Greifvögel neu bewertet werden.
Darüber hinaus deuten die bei Seeadlern nachgewiesenen Konzentrationen darauf hin, dass weitere Untersuchungen zu den Quellen und zur Verteilung dieser Substanzen in der Umwelt erforderlich sind, da die Gifte offenbar nicht nur auf dem Land, sondern auch in aquatischen Lebensräumen vorkommen. (Environmental Research, 2021, doi: 10.1016/j.envres.2020.110602)
Quelle: Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
25. März 2021
- Anna Bolten/ NPO