Ähnlich wie bei einer Zeitung gibt es auch beim Auslesen der Erbinformation DNA im Zellinneren eine Kontrollinstanz, die die erstellten RNA-Kopien „gegenliest“ und „redigiert“. Ein Team von israelischen Wissenschaftlern hat jetzt die Struktur dieses zellulären „Redakteurs“ entschlüsselt. Da Fehler dieser Kontrollinstanz wahrscheinlich eine wichtige Rolle bei der Krankheitsentstehung spielen, könnten die neuen Erkenntnisse genutzt werden, um solche Erkrankungen in Zukunft besser behandeln oder sogar vermeiden zu können.
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Seitdem Wissenschaftler vor rund 25 Jahren entdeckten, dass die informationstragenden Abschnitte in der DNA durch scheinbar sinnlose Bereiche von „Junk-DNA“ unterbrochen werden, arbeiten sie daran zu verstehen, wie die Zelle die richtigen Sequenzen erkennt und aus dem sinnlosen „DNA-Müll“ herauslöst. Dieser Prozess, bei dem nur die sinnvollen Bruchstücke zu einer kohärenten Bauanleitung für Proteine zusammengefügt werden können, wird als RNA-Splicing“ bezeichnet. Er spielt sich im Zellkern in einem speziellen Protein-RNA-Komplex ab, dem so genannten „Spliceosom“. Das Spliceosom unterscheidet die Anfänge und Enden der kodierten Segmente, schneidet sie präzise aus und verbindet sie miteinander.
Die Forscher Ruth Sperling von der Hebräischen Universität in Jerusalem und ihr Mann Joseph Sperling vom Weizmann Institut haben jetzt das bisher detailliertest dreidimensionale Modell eines solchen Spliceosoms erstellt. Im Gegensatz zu bisherigen Forschungsansätzen analysierten die Wissenschaftler dabei nicht im Reagenzglas gezüchtete Spliceosomen, sondern entnahmen sie direkt aus lebenden Zellen und untersuchten sie anschließend unter dem Elektronenmikroskop.
Der spezielle Aufbau des Spliceosoms aus vier flexibel miteinander verbundenen Untereinheiten hatte bislang die genaue Entschlüsselung der Struktur dieses Moleküls nahezu unmöglich gemacht. Das Forscherteam fand jedoch einen Weg, die Verbindungen zwischen den Untereinheiten zu kappen, ohne dabei die eingebundenen kurzen RNA-Stränge zu zerstören, die für den Splicing-Prozess entscheidend sind. Ein innerhalb von Sekundenbruchteilen wirkendes Herunterkühlen bis auf extrem niedrige Temperaturen konservierte anschließend die Spliceosomeinheiten in einem annähernd naturgetreuen Zustand. Aus Tausenden von elektronenmikroskopischen Bildern, alle aus leicht unterschiedlichem Blickwinkel aufgenommen, entwickelten die Wissenschaftler ein dreidimensionales Strukturmodell des Molekülkomplexes.
Es zeigte sich, dass das Spliceosom aus zwei deutlich unterscheidbaren ungleichen Hälften besteht, die eine Art Tunnel umhüllen. Die größere Hälfte scheint Proteine und kurze RNA-Segmente zu enthalten, die kleinere besteht nur aus Proteinen. Auf einer Seite öffnet sich der Tunnel in eine Höhle, die nach Ansicht der Forscher als eine Art „Warteraum“ für die RNA dient, bevor sie im Tunnel „gegengelesen“ und „redigiert“ wird. Die neuen Beobachtungen konnten auch die bisherige, auf Reagenzglasversuchen beruhende Annahme widerlegen, dass die Spliceosomen sich vor jedem neuen Splicing neu bilden. Wie die Forscher feststellten, findet das „splicen“ stattdessen in vorgeformten Maschinen statt.
(Hebrew University of Jerusalem, 10.09.2004 – NPO)