Medizin

Reizdarm: Genveränderung verstärkt psychische Folgen

Mutation beeinflusst Verarbeitung emotionaler Reize im Gehirn

Eine Gen-Mutation ist dafür verantwortlich, dass viele Reizdarmpatienten nicht nur an Verdauungsbeschwerden leiden, sondern auch psychische Symptome wie Angststörungen oder Depressionen zeigen. Forscher entdeckten, dass bei diesen Patienten ein Rezeptor für den Botenstoff stärker reagiert – und dies besonders im Mandelkern, einem der Emotionszentren des Gehirns.

Bis zu 15 Prozent der Bevölkerung leidet an Reizdarmsyndrom, die Dunkelziffer ist hoch. Betroffene Patienten leiden an Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung. Bei rund der Hälfte kommen Angststörungen oder Depressionen hinzu. Die Erkrankung ist zwar nicht lebensbedrohend, kann jedoch nicht geheilt werden und führt zu einer erheblich reduzierten Lebensqualität, Fehlzeiten im Beruf und in gravierenden Fällen sogar zu Berufsunfähigkeit.

Serotonin-3-Rezeptor beeinflusst Emotionsverarbeitung im Mandelkern

Jetzt hat eine Forschergruppe um Beate Niesler vom Universitätsklinikum Heidelberg in Kooperation mit Wissenschaftlern der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA) festgestellt, dass die Stärke insbesondere der psychischen Symptome von einer Genveränderung abhängt. Patienten, bei denen eine bestimmte Genmutation vorliegt, haben stärkere Symptome als Patienten ohne diese Veränderung im Erbgut und zeigen eine veränderte Aktivität in einem speziellen Gehirnbereich, dem Mandelkern. Dieser ist unter anderem für die Verarbeitung von Emotionen zuständig.

Die neu entdeckte Genveränderung liegt in der Erbinformation für einen Baustein des sogenannten Serotonin-3-Rezeptors. Im Mandelkern spielt er eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Reizen, die beispielsweise an der Entstehung von Übelkeit, Schmerzen oder der Stimmungslage beteiligt sind. Für ihre Studie analysierten die Heidelberger Wissenschaftler die Gene von 26 Reizdarmpatienten und 29 gesunden Studienteilnehmern.

Per Fragebogen und anhand der Patientenakten ermittelten die amerikanischen Kollegen anschließend, wie stark die Symptome der Patienten ausgeprägt waren. Außerdem untersuchten sie mit einem etablierten Testverfahren die Verarbeitung emotionaler Reize im Gehirn. Dazu zeigten die Forscher den Testpersonen zunächst Gesichter mit sichtbaren Gefühlsregungen und dann neutrale Bilder. Mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie wurden gleichzeitig die Durchblutung und damit die Aktivität des Mandelkerns gemessen. Je stärker die Durchblutung, desto größer die emotionale Verarbeitung im Gehirn.

Stärkere Symptome und mehr Emotionen

Das Ergebnis: Patienten und gesunde Studienteilnehmer mit einer Genveränderung des Serotonin-3-Rezeptors zeigten eine höhere emotionale Reaktion. Außerdem hatten Reizdarmpatienten mit der Genvariante stärkere Krankheitssymptome. „Unsere Ergebnisse sind wichtig für weitere klinische Studien, zum Beispiel um zu verstehen, warum Medikamente bei einigen Patienten wirken und bei andern nicht“, erklärt Professor Emeran Mayer. „Wir möchten z.B. herausfinden, ob die Wirksamkeit der Rezeptor-Blocker von der individuellen Genvariante der Reizdarm-Patienten abhängig ist.“ so Niesler. Medikamente, die Serotonin-3-Rezeptoren blockieren, können bei einigen Patienten Symptome wie Durchfall, Schmerzen aber auch Depression und Ängstlichkeit mildern.

Die Forscher möchten außerdem genauer verstehen, wie sich das Reizdarmsyndrom bei Patienten mit verschiedenen Genvarianten entwickelt und mit Depression und Ängstlichkeit in Zusammenhang steht. Dazu sollen möglichst viele Betroffene in Studien eingeschlossen werden. (Gastroenterology, März 2011)

(Universitätsklinikum Heidelberg, 09.05.2011 – NPO)

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