Zoologie

Rekord: Schmetterlinge überqueren den Atlantik

Biologen weisen erstmals 4.200 Kilometer langen Flug von Afrika nach Südamerika nach

Distelfalter
Distelfalter wie dieser sind offenbar zu Atlantiküberquerungen fähig. © Ulrich Roesch/ iStock

Geflügelte Globetrotter: Biologen haben erstmals beobachtet, dass Schmetterlinge auf ihren Wanderrouten sogar den Atlantik überqueren. Konkret wiesen sie nach, dass eine Gruppe Distelfalter von Westafrika bis ins 4.200 Kilometer entfernte Südamerika geflogen ist – ein neuer Rekord für die Falter. Die anstrengende Ozeanüberquerung konnte den Insekten allerdings nur unter ganz bestimmten Bedingungen gelingen, wie das Team erklärt.

Viele Tiere unternehmen lange, anstrengende Wanderungen, um zu überwintern oder neue Gebiete zu erreichen und dort zum Beispiel ihre Jungen aufzuziehen. Besonders bildstark ist etwa die alljährliche Serengeti-Wanderung von zwei Millionen Gnus, Zebras und Antilopen. Aber auch Insekten gehen auf Wanderschaft: Milliarden von ihnen überqueren jedes Jahr die Pyrenäen, um von Frankreich nach Spanien zu gelangen.

„Verirrte“ Schmetterlinge am Strand

Doch können wandernde Insekten sogar ganze Kontinente und Ozeane überqueren? Das fragte sich Gerard Talavera vom Botanischen Institut Barcelona, als er im Oktober 2013 ungewöhnliche Schmetterlinge an den Atlantikstränden des südamerikanischen Französisch-Guyana entdeckte. Es handelte sich bei ihnen um erschöpft auf dem Sand ruhende Distelfalter (Vanessa cardui) mit zerrissenen Flügeln, die dort überhaupt nicht vorkommen dürften. Die nächstgelegene Population findet sich erst in Nordamerika, ansonsten leben die orange-schwarz-weiß gemusterten Falter typischerweise in Europa und Afrika.

Um herauszufinden, wie diese Schmetterlinge nach Südamerika gelangt waren, schloss sich Talavera mit anderen Wissenschaftlern zusammen und analysierte das Genom der „abtrünnigen“ Distelfalter. Dabei zeigte sich, dass die am Strand gefundenen Tiere am engsten mit den europäischen und afrikanischen Populationen verwandt waren, was einen nordamerikanischen Ursprung schon einmal ausschloss.

Von Afrika nach Südamerika

Noch genauer konnte das Team die Herkunft der in Südamerika gestrandeten Schmetterlinge anhand von Pollen-DNA auf ihren Körpern bestimmen. Demnach stammte der an den feinen Härchen hängengebliebene Pollen unter anderem von zwei Pflanzenarten aus dem tropischen Afrika. Das legt nahe, dass die Schmetterlinge nicht allzu lange Zeit vor ihrer Ankunft in Südamerika an afrikanischen Blüten genascht haben und daher auch von Afrika aus gestartet sein müssen, wie Talavera und seine Kollegen erklären.

Doch wie ist es den Schmetterlingen gelungen, den kompletten Atlantik – eine Strecke von rund 4.200 Kilometern – zu überfliegen? Zwar sind Distelfalter für ihre langen Wanderungen zwischen Skandinavien und Westafrika bekannt, aber so viele Kilometer am Stück und dann auch noch über den stürmischen Ozean zu fliegen, müsste selbst den fittesten Schmetterling in die Knie zwingen.

Der Wind wies den Weg

Des Rätsels Lösung: Zwischen Afrika und Amerika existieren mehrere Luftströmungen, die das ganze Jahr über große Mengen Saharastaub über den Atlantik bis nach Südamerika befördern, wo er als eine Art Dünger für das Amazonasgebiet dient. Auch im Oktober 2013 – dem wahrscheinlichen Reisezeitpunkt der Distelfalter – bestand ein solcher Luftkorridor zwischen den Kontinenten, berichtet das Team. Er wies den Tieren wahrscheinlich den Weg und machte ihren interkontinentalen Non-Stop-Flug erst möglich.

„Die Schmetterlinge hätten diesen Flug nur mit einer Strategie absolvieren können, die zwischen dem aktiven Flug, der energetisch kostspielig ist, und dem Gleiten mit dem Wind abwechselt. Wir schätzen, dass die Schmetterlinge ohne Wind maximal 780 Kilometer hätten fliegen können, bevor sie ihr gesamtes Fett und damit ihre Energie verbraucht hätten“, erklärt Koautor Eric Toro-Delgado vom Botanischen Institut in Barcelona. Doch mit der Hilfe der günstigen Winde erreichten die Distelfalter ihr Ziel sogar innerhalb von nur fünf bis acht Tagen, wie das Team rekonstruiert hat.

Drei Kontinente in einem Falter-Leben

Insgesamt haben die untersuchten Distelfalter aber während ihrer Lebenszeit wahrscheinlich noch größere Strecken zurückgelegt als die 4.200 Kilometer zwischen Westafrika und Südamerika. Denn die Analyse der Wasserstoff- und Strontiumisotope in ihren Flügeln deutet daraufhin, dass einige der Schmetterlinge ihr Larvenstadium in Westeuropa verbracht haben, wahrscheinlich in Frankreich, Irland, Großbritannien oder Portugal. Von dort flogen sie dann zunächst weiter nach Afrika und schließlich nach Südamerika.

Damit hätten die Distelfalter in ihrem Leben nicht nur drei Kontinente durchquert, sondern insgesamt auch 7.000 Kilometer oder sogar noch mehr hinter sich gebracht, wie die Forschenden berichten. „Wir neigen dazu, Schmetterlinge als Symbol für die Zerbrechlichkeit der Schönheit zu sehen, aber die Wissenschaft zeigt uns, dass sie unglaubliche Leistungen vollbringen können. Es gibt noch viel über ihre Fähigkeiten zu entdecken“, sagt Koautor Roger Vila vom Institut für Evolutionsbiologie in Barcelona.

Wanderungen könnten zunehmen

Die Biologen gehen davon aus, dass es sich bei den wandernden Distelfaltern nicht um einen Einzelfall handelte. „Es ist möglich, dass wir die Häufigkeit und die Auswirkungen dieser Wanderungen auf unsere Ökosysteme unterschätzen“, sagt Talavera. Vielleicht erlauben es die großräumigen Luftströmungen noch vielen anderen Insekten, auf neue Kontinente zu gelangen und dabei komplette Ozeane zu überqueren.

In Zukunft könnten durch die globale Erwärmung und sich verändernde Klimamuster sogar noch mehr solcher weiträumiger Wanderungen stattfinden, wie das Forschungsteam vermutet. Das wiederum könnte erhebliche Auswirkungen auf die Ökosysteme weltweit haben. „Es ist wichtig, systematische Überwachungsroutinen für sich ausbreitende Insekten zu fördern, die dazu beitragen könnten, potenzielle Risiken für die biologische Vielfalt vorherzusagen und abzumildern“, betont Talavera. (Nature Communications, 2024; doi: 10.1038/s41467-024-49079-2

Quelle: Spanish National Research Council (CSIC), University of Ottawa

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